Artikel: Start-ups als Vorbild
Modellregionen für innovative Mobilität gibt es europaweit viele. Weniger gut ist es um ihren Erfolg bestellt. Die Universität St. Gallen schlägt neue Wege vor.
Betrachtet man die reinen Zahlen, dann muss man sich um Mobilitätsinnovationen in der Schweiz, Deutschland und Europa keine Sorgen machen. 130 geografisch klar definierbare Modell- und Pilotprojekte, Reallabore und Initiativen in 15 Ländern hat die Universität St. Gallen in ihrer Studie „Modellregionen für Mobilitätsinnovationen“ identifiziert. Und das sind, wie die Autor:innen des Instituts für Mobilität zugeben, vermutlich längst nicht alle. Was die Themen angeht, die in den entdeckten „Entstehungsräumen für die Mobilität der Zukunft“ im Mittelpunkt stehen, rangieren mit 67 Prozent On-Demand- und Sharingangebote an der Spitze. Auf den Plätzen zwei und drei folgen vernetzte (56 Prozent) und autonome Mobilität (52 Prozent). Oft untersucht werden in den Modellregionen auch Themen zur Infrastruktur, Raumplanung und Regulatorik. Ebenfalls bemerkenswert: Die Testgebiete für innovative Mobilität befinden sich überwiegend dort, wo die Mobilitätsangebote bereits jetzt gut ausgebaut sind, nämlich im urbanen Umfeld. Selten befinden sich Modellregionen in suburbanen (11 Prozent) oder ländlichen Räumen (8 Prozent), häufiger dagegen in Mischgebieten (25 Prozent). Die Größe der Verkehrsgebiete reicht dabei vom Stadtquartier bis hin zum Großraum, etwa Landkreise, Kantone oder Bundesländer.
Im Mittelpunkt des Interesses der Forschenden stand jedoch weniger eine Typologisierung von Modellregionen, sondern die Frage, was sie bewirken – und wovon es abhängt, dass sie etwas bewirken. Dazu führte das Team Interviews mit 29 Projektleitenden, darunter sieben Interviews zu Projekten in Deutschland. Als Ergebnis identifiziert die Untersuchung zum einen 300 Erfolgsfaktoren in vier Kategorien („Region“, „Akteure“, „Initiative“, „Produkte“). Zum anderen formuliert sie Leitlinien, wie Modellregionen angelegt werden sollten.
Als ein wesentliches Manko stellte das Team der Universität S. Gallen fest, dass es nur wenige der zumeist kleinen und zeitlich begrenzten Projekte schaffen, ihre Innovation längerfristig zu etablieren, sie zu skalieren und auf andere Regionen zu übertragen. „Das Resultat“, so die Studie, „ist ein Flickenteppich aus zeitlich befristeten Mobilitätsexperimenten.“ Dass Modellregionen nur temporär angelegt werden, um das Risiko überschaubar zu halten, hält die Untersuchung zwar für nachvollziehbar, weil die zumeist öffentlichen und mitunter auch privaten Fördergelder sorgsam eingesetzt werden müssen. Nur nutzt eine zu risikoscheue Projektanlage ihrer Ansicht nach der Sache nicht, nämlich Innovationen nachhaltig den Weg in die Praxis zu ebnen.
Empfohlen wird daher ein Ansatz, der selbst als innovativ gelten darf, nämlich Projekte nach dem Vorbild von Start-ups aufzustellen. Von Beginn an sollten Initiativen „wie ein Start-up aufgebaut werden, welches mit einer riskanten Innovation klein anfängt und mit finanziellen Investitionen unterstützt werden muss, welches sich aber im besten Fall langfristig selbst finanziert.“ Dazu gehören dann auch ein Geschäftsmodell und Businessplan sowie das Ziel, den Usern exzellenten Service und Mehrwert zu bieten. Damit verbunden sein muss aber umgekehrt auch die Bereitschaft, das Projekt agil an die erzielen Ergebnisse anzupassen und sich nötigenfalls schnell von Aspekten zu trennen, die die Erwartungen nicht erfüllen. Dass dies möglicherweise um den Preis geschieht, bewilligte Fördermittel zurückgeben zu müssen, nehmen die Autor:innen in Kauf. Ohnehin gelte es, vorab kritisch zu prüfen, ob eine Innovation in der Modellregion ausreichende Marktchancen habe. „Nur wenn die regionale Bevölkerung ein derart unerfülltes Mobilitätsbedürfnis hat, welches durch die Mobilitätsinnovation erfüllt werden kann, und nur wenn das Marktpotenzial groß genug ist, hat sie in der Region langfristige Erfolgschancen.“
Eine konkrete Empfehlung spricht die Untersuchung mit Blick auf die Schweiz aus. Dabei ähneln die Bedingungen, die die Forschenden dort feststellen, durchaus denen in Deutschland. Zwar seien die Voraussetzungen für Mobilitätsinnovationen grundsätzlich positiv. Negativ wirkten sich jedoch die unübersichtliche Förderlandschaft und die Vielzahl öffentlicher Akteure aus. Zudem werde eine kontinuierliche Förderung durch strenge Auflagen und wechselnde politische Rahmenbedingungen erschwert. Besserung verspricht sich die Studie durch eine Agentur „Mobilität Schweiz“, die Modellregionen für Mobilitätsinnovationen bei Anträgen und der Implementierung unterstützt. „Sie soll als Brückenschlägerin zwischen privaten, halbprivaten wissenschaftlichen und öffentlichen Akteuren agieren sowie Fachwissen zur Mobilität unterstützen.“
Hier gelangen Sie zum Whitepaper der Studie.