„Das Potenzial ist riesig“

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23. April 2024, 11:41 Uhr

Artikel: „Das Potenzial ist riesig“

Der Regionalbusverkehr muss kein Mauerblümchen sein. Wie das gelingt, zeigt das PlusBus-Konzept. Ron Böhme hat es vor zehn Jahren mit aus der Taufe gehoben.

Was vor zehn Jahren im Mitteldeutschen Verkehrsverbund (MDV) im Großraum Leipzig/ Halle begann, macht längst bundesweit Schule. In inzwischen sieben Bundesländern und auf 160 Linien steht „PlusBus“ für vertakteten Regionalbusverkehr im Gleichklang mit der Schiene. Ron Böhme, Chefverkehrsplaner beim MDV, zu den Vorzügen des Konzepts, das als bekanntestes Beispiel für Landesbedeutsame Buslinien (LBBL) gilt.  

Zukunft Nahverkehr: Herr Böhme, erlebt der gute alte Regionalbus gerade sein Comeback?  

Ron Böhme: Ich glaube, mit neuen Konzepten und entsprechendem Marketing erlebt der Regionalbus ein riesiges Comeback – jetzt schon, und als Teil der Verkehrswende künftig noch viel mehr. Die Schiene wird es allein nicht leisten können, schon deshalb, weil es nicht in jedem Ort einen Bahnhof und eine Bahnstrecke gibt.    

Zukunft Nahverkehr: Was unterscheidet Konzepte für Landesbedeutsame Buslinien wie den PlusBus vom herkömmlichen Regionalbusverkehr?  

Ron Böhme: Bevor wir vor zehn Jahren mit dem PlusBus-Konzept begannen, bedeutete Regionalbusverkehr bei uns: nur montags bis freitags und mit Fahrplänen, die zwar für den Schülerverkehr gut passten, für den Rest der Fahrgäste aber meistens nicht. Außerdem hat sich die Vertaktung des Schienenverkehrs im Busverkehr nicht fortgesetzt. Es gab Brüche im System: Kam der Zug an, konnte der Bus gerade abgefahren sein – und umgekehrt. Der Bus wurde als Zu- und Abbringer zur der Schiene gar nicht wahrgenommen.  

Zukunft Nahverkehr: Das ist jetzt grundsätzlich anders?  

Ron Böhme: PlusBus ist vertaktet und auf die Schiene abgestimmt. Andere LBBL-Konzepte machen das im Prinzip auch so, die Unterschiede liegen oft nur im Detail und in der Marketingstrategie. Es geht generell darum, den Nutzen der Schiene mit dem Regionalbus in die Fläche zu tragen und die Stärken der beiden Systeme zu verzahnen.  

Zukunft Nahverkehr: PlusBus ist nicht nur ein Verkehrskonzept, sondern auch eine Marke und ein Marketingkonzept. Welche Bedeutung hat das?  

Ron Böhme: Wir hatten im MDV 400 Buslinien, aber keine Produktdifferenzierung. Für uns war deshalb das Leistungsversprechen ganz wichtig. Wer einen PlusBus sieht, weiß gleich: Der kommt stündlich und bringt mich zum nächsten größeren Ort, wo nach unseren Vorgaben innerhalb von zehn Minuten Anschluss an die Schiene oder auch an einen anderen PlusBus besteht. Und zwar von früh bis abends, auch am Wochenende und unabhängig davon, ob gerade Schulferien sind oder nicht. Andere LBBL-Konzepte konzentrieren sich eher auf die fahrplantechnische Umsetzung. Uns war es aber darüber hinaus wichtig, mit der Marke PlusBus unser Leistungsversprechen den Fahrgästen gegenüber klar zu kommunizieren.  

Zukunft Nahverkehr: Aber wertet das nicht solche Regionalbusverkehre ab, die keine PlusBus-Linien sind?  

Ron Böhme: Ich denke eher, dass das positive PlusBus-Image auf alle Busverkehre abstrahlt. Aber wenn man ehrlich ist, sollte es überall im ländlichen Raum Angebote geben, die zumindest den Zweitwagen überflüssig machen. Man wird zwar nicht überall und auf jeder Linie im Stundentakt unterwegs sein können. Aber auf jeden Fall sollten die Linien, die seltener fahren, in den Knoten Anschluss haben, damit die Reisekette funktioniert.  Und wo für Linienverkehre das Potenzial fehlt, etwa in den späten Abendstunden, in sehr kleinen oder ungünstig gelegenen Ortschaften, sollten On-Demand-Verkehre als Zubringer zu den Linienverkehren die Lücke füllen.   

Zukunft Nahverkehr: Wie schwierig machen die nicht immer leicht zu durchdringenden Strukturen die Umsetzung von LBBL-Konzepten? Die Aufgabenträgerschaft für den Regionalbusverkehr liegt ja in der Regel bei Kreisen und Kommunen. Aber für die Finanzierung muss das Land ins Boot, für die Koordination der Umsetzung der SPNV-Aufgabenträger.  

Ron Böhme: Man muss schon eine gewisse Leidensfähigkeit und Begeisterung für das Thema mitbringen. Es gibt eine Menge Mitspieler, und viele erklären erst einmal, warum etwas leider nicht geht. Die Finanzierung ist dabei immer ein Thema. Natürlich tragen sich solche Verkehre nicht durch die Fahrgeldeinnahmen. Und die Mittel der Aufgabenträger sind beschränkt, was mit dem Deutschland-Ticket bekanntlich nicht besser geworden ist. Bei uns im MDV sind die Voraussetzungen allerdings insgesamt recht gut. Gemeinsam mit den Aufgabenträgern und Verkehrsunternehmen im MDV-Raum integrieren wir Schienen- und Busverkehre. Und die Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt unterstützen mehr Qualität im Busverkehr. In Sachsen-Anhalt bekannt unter der Dachmarke „Mein Takt“.   

Zukunft Nahverkehr: Welches Potenzial sehen Sie für PlusBus und andere LBBL-Konzepte in der Zukunft?  

Ron Böhme: Sobald ein solches Angebot da ist, kommen nach unserer Erfahrung auch die Fahrgäste. Und wenn die Nachbarregion sieht, dass es funktioniert und wie es funktioniert, wächst auch dort das Interesse. Ich glaube, der Vertaktung zwischen Bus und Bahn sowie Bus und Bus, ergänzt durch On-Demand-Verkehre, gehört die Zukunft. Das Potenzial ist riesig. Dass sich bei der Finanzierung keiner vordrängelt, kann ich verstehen. Aber man muss auch sehen, dass es hier nicht um rein verkehrliche Belange geht. Eine gute Mobilität in der Fläche unterstützt das regionale Wachstum, wirkt Abwanderung entgegen, beugt dem Gefühl vor, im ländlichen Raum abgehängt zu sein. Das ist ein Thema der Regionalentwicklung auf Landesebene. Aber auch die Bundesregierung ist gefragt, schließlich muss sie ein Interesse daran haben, dass Deutschland die Klimaziele erreicht. Das Pariser Klimaabkommen haben nicht die ÖPNV-Unternehmen unterschrieben, das war der Bund. Aber sie können mithelfen, das Problem der nach wie vor viel zu hohen CO2-Emissionen im Verkehrssektor zu lösen.