"Die Perspektiven sind unterschiedlich"

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01. Juni 2023, 08:54 Uhr

Artikel: "Die Perspektiven sind unterschiedlich"

Was bringt die Verkehrswende besser voran? Drängen oder locken? Das Forschungsprojekt Push&Pull will es genau wissen. Martina Hekler von der TU Hamburg kennt die Details.

RegioSignaleBlog: Zuckerbrot und Peitsche, Carrot and Stick – für Push und Pull gibt es viele starke Metaphern. Wie werden Begriff und Konzept in der Verkehrswissenschaft gedacht? 

Martina Hekler: Die Perspektiven sind unterschiedlich. Manche vertreten die Ansicht, dass Maßnahmen regelmäßig beide Dimensionen beinhalten. Wir betrachten den Ansatz aus planerischer Sicht und grenzen die beiden Begriffe deshalb deutlicher voneinander ab. Push ist für uns eine restriktive Maßnahme, die direkt verhaltensbeeinflussend ist und deren Wirkungsrichtung auf Verkehrsverlagerung und -vermeidung zielt. Pull ist eine Intervention, die auf Angebotsverbesserung und Freiwilligkeit zielt. 

RegioSignaleBlog: Was wären das dann beispielsweise für Maßnahmen? 

Martina Hekler: Push wären beispielsweise eine City-Maut, Parkraummanagement oder Tempo 30. Angebotsverbesserung für den Radverkehr oder öffentlichen Verkehr sind Pull-Maßnahmen. Zugespitzt könnte man mit Bezug auf die Verkehrswende auch sagen: Alles, was das Auto eher unattraktiv macht, sind Push-Maßnahmen.  

RegioSignaleBlog: Die Deutsche Forschungsgesellschaft DFG fördert das Forschungsvorhaben bis 2025, die Technische Universität Hamburg ist an dem Projekt beteiligt. Worum geht es, was soll dabei herauskommen?

Martina Hekler: Wir erforschen die Wirksamkeit, Wahrung und Akzeptanz von Push- und Pull-Maßnahmen in der Verkehrspolitik und -planung. Letztlich wollen wir unterschiedlichen Akteuren – sei es in Politik, Planung oder Verwaltung – Handlungsempfehlungen geben, die ihnen die Realisierung nachhaltiger Verkehrspolitik über ihre jeweiligen Zuständigkeitsbereiche hinweg erleichtern. Was am Ende herauskommen wird, wissen wir natürlich noch nicht. Da bin ich selbst sehr gespannt. 

RegioSignaleBlog: Wie sollen diese Handlungsempfehlungen aussehen? 

Martina Hekler: Wir untersuchen Einzelmaßnahmen nicht nur auf ihre verkehrliche Wirkung – also inwiefern sie das Verkehrsaufkommen reduzieren und den Modal Split zugunsten des Umweltverbunds von ÖPNV, Rad- und Fußverkehr verbessern. Wir schauen auch, wie schnell sich die Maßnahmen umsetzen lassen, in welchem Umfang sie CO2-Emissionen verringern, ob sie über alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen akzeptiert werden oder manche Bevölkerungsgruppen mehr als andere weniger stark einbinden. Wir evaluieren auch Maßnahmenpakete und untersuchen, welche Wirkungen die Kombination verschiedener Maßnahmen entfalten. Die gewonnenen Erkenntnisse werden wir dann in einem Maßnahmenkatalog darstellen, der fundierte und effiziente Entscheidungen ermöglicht.  

RegioSignaleBlog: Klingt nach einem praktischen Baukasten, der viele Dimensionen unter einen Hut bringt … 

Martina Hekler: … und dringend benötigt wird, weil Kultur, die Verwaltung in Kommunen und Ländern und Siedlungsstrukturen in Deutschland sehr vielfältig sind. Was in Stadtstaaten wie Hamburg oder Bremen funktioniert, klappt nicht unbedingt in Bayern. Maßnahmenpakete, die sich in Ingolstadt bewährt haben, entfalten in Berlin möglichweise eine andere Wirkung. Ein – wie Sie es nennen – Baukasten, aus dem man sich jeweils passende Maßnahmen herauspicken und entsprechende Pakete zusammenstellen kann, wird die Umsetzung vor Ort sicherlich erleichtern und beschleunigen.  

RegioSignaleBlog: Wie schätzen Sie die allgemeine Bereitschaft ein, die Verkehrswende mitzutragen?  

Martina Hekler: Wir haben die These aufgestellt, dass die einzelnen Bürger mutiger und die Gesellschaft als Ganzes möglicherweise schon weiter sind als die Politik annimmt. Die Politik könnte also weniger zurückhaltend agieren und die Menschen weiter mitnehmen, als es aktuell der Fall ist. Für die notwendige Verkehrswende braucht es seitens der Politik eine Abkehr, lediglich in Wahlperioden zu denken. 

RegioSignaleBlog: Trotzdem muss Politik auch Akzeptanz herstellen. Wäre es da nicht klug, denen, die ein Kröte schlucken müssen, auch ein Goodie anzubieten? 

Martina Hekler: Wir denken das mit – und ja: Die Gesellschaft ist hier nicht homogen. Fahrrad- und Autofahrer:innen haben nun einmal unterschiedliche Interessen und es wird wohl kaum möglich sein, beide im gleichen Maße zufriedenzustellen und gleichzeitig die Klimaziele umzusetzen. Deshalb muss im Gegenzug auch ein Zuckerl drin sein, um die Akzeptanz zu erhöhen und ein Gesamtpaket attraktiver zu machen. Die große Kunst besteht darin, die gesellschaftliche Akzeptanzbereitschaft auszuloten und ausgewogene Handlungsempfehlungen zu entwickeln. 

RegioSignaleBlog: Werden dabei auch operationalisierbare Handlungsempfehlungen für den ländlichen Raum zustande kommen? 

Martina Hekler: Dafür unterscheiden sich die Bedingungen und Voraussetzungen in städtischen und ländlichen Regionen zu sehr. Die Handlungsempfehlungen, die wir im Rahmen des Forschungsvorhabens entwickeln, zielen deshalb ausschließlich auf Städte und urbane Regionen. Den ländlichen Raum müsste man als eigenständiges Untersuchungsgebiet betrachten.