„Hier können alle ihren Senf dazugeben“

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02. April 2024, 10:29 Uhr

Artikel: „Hier können alle ihren Senf dazugeben“

Partizipation schafft Legitimation und Akzeptanz. Heutzutage, findet Startup-Mitgründer Pascal Fuhr, gelingt das mit digitalen Beteiligungsplattformen besser.

ZNV-Blog: Pascal, Eure Website strahlt in senfgelb, Eure Beteiligungsplattform habt ihr Senf.app getauft. Das hat jetzt aber nichts damit zu tun, dass bei Euch alle ihren …  

Pascal: … Senf dazugeben können? Doch, klar. Genau daher kommt der Name. Wir haben die App gemacht, weil wir Bürger:innen ermutigen wollen, sich einzubringen, ihren Senf dazuzugeben, wie man in Köln gerne sagt. Gleichzeitig gestalten die Menschen die App aber auch ganz wesentlich mit, indem sie sich beteiligen. Deshalb ist die Website senffarben. 

ZNV-Blog: Ihr stellt Eure Beteiligungsplattform Planungsbüros und Kommunen bereit, um Bürger:innen in Entscheidungen einzubeziehen. Freuen sich die Leute und sagen, jo, endlich mal einer, der uns fragt? 

Pascal: Ja, die Leute beteiligen sich sehr gerne und sie bringen sich auch konstruktiv ein. Gerade bei kontroversen Themen ist das wichtig. Denn wenn ich mitgestalten und mitentscheiden darf, finde ich das Ergebnis am Ende selbst dann eher gut, wenn es nicht vollständig meinen Ansichten entspricht. Beteiligung schafft Legitimität und Akzeptanz. Beides ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass der Transformationsprozess, in dem wir als Gesellschaft stecken, gelingen kann. Welche und wie viele Menschen sich beteiligen, hängt aber wesentlich von den Beteiligungsmöglichkeiten ab. Wenn samstags um 14.00 Uhr ins Bürgerhaus eingeladen wird, ist das zwar super. Aber mehrheitlich nehmen an solchen Formaten nur ältere weiße Menschen teil und deshalb sind die Ergebnisse solcher Veranstaltungen selbst in einer Stadt wie Köln eher überschaubar. In Fürth hingegen haben wir mit der Senf.App innerhalb von sechs Wochen über 2.000 Ideen für ein Mobilitätskonzept sammeln können. 

ZNV-Blog: Wie erklärt Ihr Euch diese enormen Unterschiede? 

Pascal: Letztlich geht es um Barrierefreiheit und Inklusion. Menschen, die mit Facebook oder Instagram groß geworden sind, kommen nur sehr selten um 14.00 Uhr ins Bürgerhaus. Sie bringen sich aber offensichtlich bereitwillig ein, wenn sie das über eine digitale Beteiligungsplattform tun können, die ihnen eine inklusive Nutzererfahrung ermöglicht und sie gestalterisch anspricht. Die bekommen dann ihre Dosis Dopamin und sind motiviert dabei. Gleichzeitig sehen wir in unseren User-Tests, dass ältere Leute mit dem Angebot ebenfalls gut zurechtkommen.  

ZNV-Blog: Nehmen wir mal für einen kurzen Augenblick an, ich wäre Bürgermeister. Wie würdest Du mir Eure Beteiligungsplattform in ein paar Sätzen schmackhaft machen?  

Pascal: Ich würde Dir sagen, dass wir dafür sorgen, dass sich deine Stadtgesellschaft einbringen kann und dadurch die Bereitschaft wächst, anstehende Veränderungsprozesse mitzutragen. Mit Blick auf den Transformationsprozess, der mit Klimawandel oder Mobilitätswende auf Kommunen zukommt, ist Dialog wichtiger denn je – und anders als punktuelle Ereignisse wie Informationsveranstaltungen schafft eine digitale Plattform viel mehr Interaktionsmöglichkeiten. Außerdem würde ich hervorheben, dass politisch Verantwortliche mit Hilfe der Plattform viel besser verstehen, in welche Richtung sich Meinungen drehen und dementsprechend auch besser auf Einwände oder Bedürfnisse eingehen können. Dadurch entsteht ein ko-kreativer Prozess, der eine bedarfsgerechtere Planung ermöglicht.  

ZNV-Blog: Bei über 2.000 Ideen wie in Fürth muss man den Content aber überhaupt erstmal auswerten können, um daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten. Wie macht ihr das bei so viel Feedback? 

Pascal: Was die Auswertung und direkte Aufbereitung der Daten angeht, ist unsere Plattform dankenswerter Weise sehr, sehr weit. Wir können Ideen direkt auf einer Heatmap visualisieren und kartographisch darstellen, wo innerhalb des Stadtgebietes welche Verbesserungen vorgeschlagen werden. Darüber hinaus lassen sich die textbasierten Ideen mit Hilfe künstlicher Intelligenz nicht nur kategorisieren und clustern. Die KI kann auch das Sentiment bewerten, findet also heraus, ob Kritik geäußert oder ein Vorschlag eingebracht wird. Über das Dashboard kann man die Resultate dann in der jeweils gewünschten Aufbereitung visualisieren und direkt Insights ableiten, die man für die nächsten Planungsschritte verwenden kann. 

ZNV-Blog: Vor der Senf.app hast Du digitale Marktplätze für die Chemiebranche aufgebaut. Mit Beteiligungsplattformen hat das erstmal wenig zu tun. Wie bist Du auf die Idee gekommen? 

Pascal: Mir war Purpose schon immer sehr, sehr wichtig. Also ich wollte eigentlich schon immer was tun, was einen Impact hat – für mich selbst, aber eben auch gesellschaftlich. Das war damals bei der Bayer AG oder Covestro aber nicht so der Fall. Als ich dann in Amsterdam in einem Team digitale Marktplätze geschaffen habe, konnte ich zwar mit meiner Arbeit einiges bewegen, aber nicht mit dem Geschäftsmodell, das wir verfolgt haben. Auf der anderen Seite war ich sehr begeistert von der Stadtplanung in Amsterdam oder generell in den Niederlanden. Das ist dort ein völlig anderes Lebensgefühl, weil alles sehr menschenzentriert ist. Gemeinsam mit Christian, Tassilo und Oscar bin ich dann der Frage nachgegangen, wie sich diese menschenzentrierten, kulturellen und politischen Dimensionen digital abwägen und darstellen lassen. Gestartet sind wir damals mit Senf.Koeln, um eine Plattform zu schaffen, auf der alle Bürger:innen jederzeit ihre Ideen teilen können. Mittlerweile besteht das Kernteam aus sechs Leuten und unsere Plattform fokussiert sich auf die Begleitung von digitaler Beteiligung bei konkreten Planungsprojekten. 

ZNV-Blog: Wenn es um Themen wie Mobilität und Verkehr geht, wird es schnell mal hitzig. Hand aufs Herz: Wie oft musstet ihr mit Verweis auf die Netiquette-Regel in Euren AGB schon die Notbremse ziehen? 

Pascal: Ich weiß nicht, ob es am positiven Framing oder an unserem Aufruf liegt, nett und freundlich zueinander zu sein und konstruktiv miteinander zu diskutieren. Aber obwohl wir in den vergangenen vierzehn Monaten einige polarisierende Projekte begleitet haben, mussten wir nur drei Statements löschen. DREI! Das ist doch der Wahnsinn, oder?!