Artikel: „Lightgate hat enormes Potenzial“
DB Lightgate beschleunigt den Fahrgastwechsel, optimiert die Betriebsqualität und hat Julia Kuhfuß auf eine Reise geschickt, die immer mehr Fahrt aufnimmt.
Zukunft Nahverkehr: Vor drei Jahren haben Sie für DB Lightgate den Clara-Jaschke-Innovationspreis erhalten. Inzwischen ist das Produkt patentiert, in Hamburg und weiteren Städten in Deutschland installiert und Ihr Job. Wie fühlt sich das an?
Julia Kuhfuß: Hervorragend! Ausgangspunkt für die Entwicklung von Lightgate war das Ziel, die Haltezeiten zu reduzieren, weil man in einem so eng vertakteten System wie Hamburg keine Chance hat, verlorene Zeit wieder reinzuholen. Im Fokus stand dabei die Frage, wie wir Fahrgäste intrinsisch motiviert zu Zugteilen lenken können, in die sie schneller einsteigen können, weil dort weniger Leute aussteigen. Als wir gemerkt haben, dass das mit unserer Erfindung wunderbar gelingt und wir vom Prototypen-Stadium in die Serie gehen können, hat Lightgate Fahrt aufgenommen und ich habe es dann tatsächlich als Projekt bekommen. Seither sind zweieinhalb Jahre vergangen und Lightgate ist mein Vollzeit-Job. Wir sind auch kein Projekt mehr, sondern in die Linienorganisation der S-Bahn Hamburg übergeben worden. Das ist auch gut so. Denn ein Projekt endet ja üblicherweise irgendwann.
Zukunft Nahverkehr: Wie soll es denn weitergehen?
Julia Kuhfuß: Wir haben mit der Teststrecke in Hamburg gezeigt, dass wir die Ziele erreichen können, die wir uns gesetzt haben: Wir bringen auf der bestehenden Infrastruktur mehr Fahrgäste besser an ihr Ziel, weil Reisendenlenkung und intelligente Auslastungssteuerung funktionieren. Das ist möglich, weil wir ein fahrzeugunabhängiges System entwickelt haben, das Reisende in Echtzeit informiert, in welchen Wagen am meisten Platz ist. Mittlerweile sind wir seit über einem Jahr in der Betriebssteuerung. Nun muss es darum gehen, Lightgate deutschlandweit auszubauen. Am liebsten an allen 16.000 Gleisausfahrten, um flächendeckend Auslastungsdaten in Echtzeit generieren und für alle nutzbar machen zu können.
Zukunft Nahverkehr: Das ist ein ambitioniertes Ziel.
Julia Kuhfuß: Sicherlich. Aber Lightgate hat eben auch enormes Potenzial, weil es im Gleis installiert wird. Wir müssen nicht an die Fahrzeuge ran, können universell messen, weil alle Züge gegenüberliegende Scheiben haben, und haben es selbst in der Hand, die Infrastruktur standardmäßig mit Lightgate auszustatten. Abgesehen davon lassen sich über die Fahrgastlenkung hinaus noch ganz andere Potenziale heben. Infrastrukturunternehmen zum Beispiel könnten ganz anders in das Thema Trassenplanung einsteigen und da wird es dann erst richtig spannend.
Zukunft Nahverkehr: Wie kamen Sie eigentlich auf die Idee, ins Gleis zu gehen? Wäre es mit den Reisenden im Fokus nicht naheliegender gewesen, vom Fahrzeug her zu denken?
Julia Kuhfuß: Als wir mit dem Projekt begonnen haben, waren bei der S-Bahn Hamburg drei Baureihen im Einsatz. Davon war die neueste noch in der Gewährleistung und die älteste zum Umbau ungeeignet. Deshalb war schnell klar, dass wir eine technische Lösung brauchen, für die wir unsere Fahrzeuge nicht umbauen müssen. Nach erfolgversprechenden Experimenten mit einem Lego-Modell stand schnell fest, dass wir mit Lichtsensorik weitermachen und sind in die nächste Prototypenphase gestartet. Da standen wir dann tatsächlich mit Brotdosen am Bahnsteig, in die wir Sensoren eingebaut und Löcher geschnitten hatten, haben experimentiert, verschiedene Lichttypen getestet und konnten irgendwann sagen, „Okay, wir haben es“.
Zukunft Nahverkehr: Lightgate misst anhand der Lichtmenge, die durch die Zugfenster fällt, wo die meisten Plätze frei sind, zeigt das in der nächsten Station an und Reisende können schneller zusteigen. Klingt wie ein Tipp aus Simplify your Life.
Julia Kuhfuß: Es hört sich einfach an und die Auslastungsanzeige versteht man auch intuitiv. Aber es sind unglaublich viele Komponenten im Spiel – Optoelektronik, KI-Entwicklung, Berechnungskerne, IT- und Serveraufbau und viele andere Dinge, mit denen ich mich vorher nicht beschäftigt habe. Ohne die Physiker und Mathematiker im Team wäre das Projekt nicht machbar gewesen. Gleichzeitig machen die vielfältigen Anforderungen und das tolle Team die Arbeit dauerhaft spannend. Es ist enorm bereichernd, mit so klugen Leuten zusammenzuarbeiten und ich konnte in den letzten fünf Jahren umfassende Expertise in diesen Bereichen aufbauen.
Zukunft Nahverkehr: Der Weg von der guten Ideen zum marktreifen Produkt ist meist steinig. Gab es auch mal diese Oh-Gott-wie-machen-wir-denn-jetzt-weiter–Momente?
Julia Kuhfuß: Herausforderungen, bei denen man erst mal nicht weiß, wie man ihnen begegnen soll, gehören einfach dazu. Die Aufnahme der Serienproduktion war so ein Fall. Keiner von uns hatte sich je damit befasst, welche Firmen so etwas überhaupt produzieren könnten. Außerdem wollten wir nicht nur irgendwelche Dienstleister beauftragen, sondern Partner finden, die für unser Vorhaben ähnlich brennen wie wir. Also haben wir uns auf Firmensuche gemacht und sind auf Tour durch Deutschland und das angrenzenden Ausland gegangen. Ich fand es tatsächlich hochspannend, den Markt zu sondieren, währenddessen dazuzulernen und schlussendlich auch die richtigen Firmen zu finden. Ich bin aber auch eher eine Macherin und setze gerne um. Darauf habe ich Lust, das ist mein Ding – und es gibt mir auch viel: Es war ein toller Moment, als wir das erste Mal eine Station eingeschaltet haben und in Echtzeit die Auslastung zeigen konnten. Ich hoffe sehr, dass wir solche Momente noch in vielen weiteren Städten erleben dürfen.
Zukunft Nahverkehr: Ende September findet in Berlin die InnoTrans statt. Wird es Lightgate bald nicht nur in Hamburg, sondern auch in anderen deutschen Städten oder auch New York, Rio und Tokio geben?
Julia Kuhfuß: Wir sind Anfang des Jahres in Vertrieb und Verkauf eingestiegen. Seither haben wir bereits einige Kunden über Hamburg hinaus und auch außerhalb von DB-Geschäftsfeldern gewinnen können. Anfragen aus dem Ausland liegen ebenfalls vor. Wir werden die InnoTrans besuchen, um potenzielle Kunden und Partner zu treffen, aber nicht mit einem eigenen Stand vertreten sein.