„Mehr Flexibilität in der Dienstplanung“

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05. März 2024, 11:05 Uhr

Artikel: „Mehr Flexibilität in der Dienstplanung“

Personalnot macht erfinderisch. Auf der Suche nach Tramfahrer:innen rekrutieren immer mehr Verkehrsgesellschaften auch Studierende.

Was den Verkehrsunternehmen der ÖPNV-Branche aktuell Sorge bereitet, kann man landauf, landab an vielen Haltestellen auf den Displays der Fahrgastinformation nachlesen: „Wegen Personalengpässen kommt es zu Änderungen im Fahrplanablauf".  

Für die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) heißt das beispielsweise konkret: Es fehlen Bus- und Tramfahrer:innen, aber auch Elektriker:innen und Mechatroniker:innen. Schon im Sommer 2023 verkündete MVG-Chef Ingo Wortmann: „Für die Zukunft betrachtet wird es nicht besser.“ Er rechnet vor, dass ihm bis 2030 insgesamt etwa 700 Mitarbeiter:innen fehlen, davon 100 im Fahrdienst. 

Wie andernorts auch, steht eine Verrentungswelle der Babyboomer:innen bevor. Hinzu kommt, dass zahlreiche Quereinsteiger:innen, die während der Pandemie in den Fahrdienst eingestiegen sind, wieder zurück in ihre angestammten Berufe wechseln. Mit Ausbildung in Teilzeit, Wunschdienstplänen, Rekrutierung von ausländischen Fahrer:innen und Lohnerhöhungen haben Verkehrsbetriebe in ganz Deutschland verschiedene Ansätze versucht, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein. Doch die Personalengpässe bleiben. 

Aus der Not heraus schlägt die MVG, ebenso wie die Verkehrsgesellschaft Nürnberg (VAG), neue Wege ein und bildet seit Februar 2024 Studierende aus, die auf Werkstudenten-Basis als Fahrer:innen in Bussen und Bahnen eingesetzt werden sollen. Grundsätzlich neu ist das Modell nicht. Auch in Frankfurt am Main, Augsburg, Potsdam und Heidelberg steuern Studierende Tram oder Busse. In Berlin und Wien gibt es ebenfalls entsprechende Gedankenspiele. 

Zu den Vorreitern zählt Dresden. Seit 2011 setzen die Dresdener Verkehrsbetriebe (DVB) auf studentische Aushilfen. Aufgabe von Kay Gläser, Leiter Disposition, ist es, die 30 studentischen Tramfahrer im Streckennetz gewinnbringend einzusetzen. Als sogenannte Flexplanfahrer:innen sind Studierende während der Vorlesungszeit bis zu 20 Wochenstunden, in den Semesterferien als Vollzeitkraft im Dienst. „Zu Konzerten, an Silvester und Feiertagen entlasten die Studenten unsere Stammbelegschaft und geben mir auch sonst mehr Flexibilität in der Dienstplanung“, sagt Gläser. An Interesse mangelt es nicht. Zuletzt gab es 22 Bewerber auf sechs offene Stellen. 

Die Voraussetzungen für den Studierendenjob sind vielerorts identisch. Wer als Tramfahrer:in arbeiten möchte, muss mindestens 21 Jahre alt sein und einen Führerschein der Klasse B vorweisen. Viele Verkehrsbetriebe verlangen darüber hinaus, dass die Bewerber:innen noch für mindestens zwei Jahre an ihrer Hochschule eingeschrieben sind, damit sich das Investment lohnt. Die Ausbildung findet meist in den Semesterferien statt und stellt die gleichen Anforderungen, wie an alle anderen Berufseinsteiger:innen in den Fahrdienst. Auf dem Lehrplan stehen Signalkunde, ein Erste-Hilfe-Kurs sowie Berechnungen zu Bremsweg und Beschleunigung. 

Die Verkehrsbetriebe übernehmen dabei die Kosten für den Führerschein, nicht überall werden die vorgeschriebenen Übungsfahrten vergütet. Auf dem Lohnzettel spielt er Studierendenstatus später keine Rolle mehr. Vergütet werden Werkstudierende in Dresden wie in München nach Tarifvertrag TV-N. In München liegt der (brutto) Stundenlohn aktuell bei etwa 17,10 Euro, in Nürnberg sind 15,66 Euro und in Dresden 15,85 Euro. Hinzu kommen Zuschläge für Nachtdienst oder Einsätze an Feiertagen. In Dresden sind alle Studierenden selbst krankenversichert, da sie mit ihrem Einkommen über der Minijob-Grenze von monatlich 538 Euro liegen. 

Für Kay Gläser, den Chef über die Dienstpläne in Dresden, macht sich das Recruiting bezahlt. 95 Prozent der Studierenden bleiben der DVB auch nach Studienabschluss erhalten, übernehmen etwa als geringfügig Beschäftigte weiterhin Schichten oder arbeiten in den Bereichen Verkehrsplanung und -technik der DVB. Nur mit einem Klischee muss Gläser aufräumen: „Junge Langschläfer kenne ich nur wenige. Viele Studis fahren gerne um halb vier die Tram aus dem Betriebshof, damit sie nach Dienstschluss noch rechtzeitig im Hörsaal sitzen.“