„Mobilität wird sich radikal verändern“

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06. Dezember 2023, 19:45 Uhr

Artikel: „Mobilität wird sich radikal verändern“

Der regulatorische Rahmen passt, die Akzeptanz ist da: Zeit für mehr autonome Mobilität im Regelbetrieb, findet Paul Hannappel des Bitkom.

RegioSignaleBlog: Herr Hannappel, Sie sind Referent für Mobility und Logistics des Bitkom, dem Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche. Was haben Bit&Bytes, Mobilität und Logistik gemeinsam? 

Paul Hannappel: Mobilität und Logistik waren schon immer eng miteinander verbunden und teilen viele Herausforderungen, denken Sie nur an die Vernetzung unterschiedlichster Verkehrsträger und den Wandel in der Antriebstechnik. Gleichzeitig werden beide nur digitalisiert zukunftsfähig sein. 

RegioSignaleBlog: Sie betreuen unter anderem die BitFahrzentrale. Ist das Wortspiel auch ein Hinweis darauf, dass wir Mobilität immer noch zu sehr vom Rad her denken?  

Paul Hannappel: Mobilität wird sich in den nächsten Jahrzehnten radikal verändern. Einerseits, weil Verkehr und Nutzerverhalten einem steten Wandel unterliegen. Andererseits, weil wir nicht nur eine nachhaltigere und sicherere Mobilität, sondern auch einen inklusiveren Zugang zu Mobilität brauchen. Das wiederum schafft man durch digitale Lösungen wie zum Beispiel intermodale Verkehrsapps, mit denen man von der Bahn bis hin zum autonomen Shuttle alle Verkehrsträger nutzen kann. Die Bedeutung digitaler Lösungen wird aber noch allzu oft unterschätzt, weil immer noch zu sehr vom Rad aus gedacht wird. In der Mobilität der Zukunft ist das Handy unser virtuelles Lenkrad, in dem die Mobilität intelligent, vernetzt und personalisiert ist. 

RegioSignaleBlog: Das Handy funktioniert aber nur dann als Lenkrad, wenn wir uns auf multimodale Mobilität einlassen, anstatt – wie mit dem Auto über Generationen eingeübt – in einem Rutsch von A nach B zu kommen. Wird das gelingen?  

Paul Hannappel: Im Prinzip schließlich sich beides nicht aus. Die reibungslose und schnelle Reise von A nach B wird weiterhin essenziell bleiben. Wenn dies über multimodale Apps nicht so einfach möglich ist, dann werden die Leute im Zweifel weiterhin das Auto bevorzugen. Gerade im ländlichen Raum wird das Auto bis auf weiteres sowieso ein wichtiges Verkehrsmittel bleiben. Es müssen jedoch zusätzliche Alternativen geschaffen und den Menschen Wahlmöglichkeiten gegeben werden. Sie sind zum Beispiel vor dem Hintergrund des demografischen Wandels essenziel, um auch älteren Menschen die Möglichkeit zu geben, mobil und unabhängig zu bleiben. Wenn man aber schon mehrere Verkehrsträger nutzt – auf dem Land erst den Shuttle zur Bahn, dann mit dem Zug in die Stadt und die letzte Meile vielleicht mit dem Scooter – dann muss sie in einer App buchbar sein, damit Nutzung und Entscheidung für multimodale Mobilität leichter fällt. 

RegioSignaleBlog: Ist der einfache Zugang damit nicht auch eine Generationenfrage? 

Paul Hannappel: Das ist in der Tat ein guter Punkt. Wir beobachten beispielsweise, dass neuere und digitale Mobilitätsdienstleistungen deutlich öfter von jüngeren als von älteren Menschen genutzt werden. Das ist ein Aspekt, den man bei der Planung von Beginn an einbeziehen sollte: Wenn neue Mobilitätsangebote großflächig umgesetzt werden, dann muss von vorne hinein die digitale Teilhabe aller Altersgruppen im Fokus stehen. Schließlich bringt es nichts, wenn digitale Lösungen nicht genutzt werden, weil sie von zu vielen Menschen als zu kompliziert wahrgenommen werden.  

RegioSignaleBlog: Das scheint aber nicht für autonome Fahrzeuge zu gelten. In einer jüngst durchgeführten Umfrage haben Sie eine hohe Bereitschaft festgestellt, solche Angebote zu nutzen. 

Paul Hannappel: Das hängt stark von der Art des Verkehrsmittels ab. Knapp 75 Prozent der Befragten können sich vorstellen, fahrerlose U- und S-Bahnen sowie Taxis zu nutzen. Ähnlich hoch ist die Bereitschaft, fahrerlose Busse und Shuttles zu nutzen. Umgekehrt ist es bei Schiffen und Flugzeugen. Dort ist sie am geringsten. Was verblüffend ist, weil Flugzeuge schon heute hochautomatisiert fliegen. Man sieht daran: Auch wenn es ein wachsendendes Vertrauen für autonome Verkehrsmittel in der Gesellschaft gibt, ist noch viel Überzeugungsarbeit nötig. 

RegioSignaleBlog: Dennoch empfiehlt Bitkom mit Verweis auf die recht breite Akzeptanz, nun in großem Maßstab autonome Mobilitätsangebote umzusetzen und erlebbar zu machen. 

Paul Hannappel: Die Technologie hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt und die Unternehmen stehen in den Startlöchern. Diese sind jetzt gefragt, Fahrzeuge auf die Straße zu bringen und den Genehmigungsprozess gemeinsam mit der Politik umzusetzen. Gleichzeitig kann das nur dann erfolgreich gelingen, wenn die nötige Akzeptanz dafür vorhanden ist. Für die Praxis bedeutet das: Wenn autonome Fahrzeuge im größeren Umfang in Betrieb genommen werden, müssen parallel dazu auch die Vorteile und der Nutzen autonomer Mobilitätskonzepte kommuniziert werden. Was passiert, wenn es nicht gelingt, die Menschen auch im übertragenen Sinne mitzunehmen, lässt sich derzeit in San Francisco beobachten. Dort rührte sich zu Beginn erheblicher Protest gegen die Genehmigung für den großflächigen Einsatz autonomer Fahrzeuge. 

RegioSignaleBlog: Die regulatorischen Rahmenbedingungen werden in der Studie sehr positiv beurteilt. Ist Deutschland startklar für dieses Szenario? 

Paul Hannappel: Definitiv. Deutschland hat mit dem Gesetz zum autonomen Fahren eine sehr gute Basis dafür geschaffen, autonome Mobilität auf die Straße zu bringen. Damit ist auch ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Ländern entstanden. Aber jetzt liegt der Ball auf dem Anstoßpunkt und es wird Zeit, dass Industrie und Politik die geschaffenen Möglichkeiten auch wahrnehmen, mit Leben füllen und gemeinsam mit einer innovationsorientierten Verwaltung weiterentwickeln. Mit Blick auf die Genehmigung länderübergreifender Betriebsbereiche für Level-4-Fahrzeuge wäre es beispielsweise hilfreich, wenn es harmonisierte Verfahren gäbe. Aktuell kocht aber noch jedes Bundesland sein eigenes Süppchen.