„User brauchen Erfolgserlebnisse“

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07. Mai 2024, 11:08 Uhr

Artikel: „User brauchen Erfolgserlebnisse“

Komplizierte Linienpläne, eindimensionale Apps: Wie lässt sich das ÖPNV-Angebot userzentriert visualisieren? Benedikt Schmitz plädiert für Features aus Computerspielen.

Zukunft Nahverkehr: Benedikt, zwei Mathematiker haben mal errechnet, dass das wachsende ÖPNV-Angebot zu Linienplänen führt, die kein Mensch mehr begreift, sobald man U-Bahn und Buslinien gemeinsam darstellt. Was sagst Du als Designer dazu? 

Benedikt Schmitz: Spontan gehen mir da zwei Gedanken durch den Kopf. Einerseits sind Linienpläne um so verständlicher, je weniger Informationen sie enthalten. Deshalb ist auch schon lange bekannt, dass die Vermischung von Bus- und Bahnlinien für eine Informationsfülle sorgt, die einfach nicht zu bewältigen ist. Andererseits sind Linienpläne nicht nur für die Routenplanung da. Sie sollten auch darstellen, wie eine Stadt aufgebaut ist und von oben aussieht, weil das die Orientierung enorm erleichtert. 

Zukunft Nahverkehr: Hilft Orientierung, gewünschte Verbindungen schneller zu erfassen? 

Benedikt Schmitz: Ja, definitiv. Wenn man länger in einer Stadt ist, ist es immer hilfreich, die Strukturen zu verstehen, in denen man sich bewegt. Touristen mag das anders ergehen. Die möchten sich in der Regel irgendwelche Sehenswürdigkeiten anschauen und wollen wissen, wie sie mit Öffentlichen dorthin zu kommen. Dafür schauen sie ein, zwei Mal auf den Plan und das war‘s dann. 

Zukunft Nahverkehr: Oder sie überlassen das Routing gleich ihrer App.  

Benedikt Schmitz: Apps leiten Anwender auf jeden Fall  zuverlässig von A nach B. Sie führen aber leider auch dazu, dass wir uns gar nicht mehr die Mühe machen, die Stadt, in der wir uns bewegen, zu verstehen. Sobald dieses Verständnis fehlt, kommt man ohne App aber überhaupt nicht mehr klar.  

Zukunft Nahverkehr: Ist das der Preis, den wir für multimodale Mobilität zahlen müssen? Ohne App ist die schließlich nicht zu haben. 

Benedikt Schmitz: Ich bin mir da nicht so sicher. Vielleicht genügt es auch, gängige Standards hinter sich zu lassen und Features zu übernehmen, die zum Beispiel in Computerspielen längst etabliert sind. Da sind oft riesige Karten im Spiel, auf denen aber immer nur die Bereich klar zu sehen sind, die man betritt. Der Rest verschwindet im so genannten Fog of War. Auf die App übersetzt würde das bedeuten: Wenn ich irgendwo aus einer U-Bahn aussteige, und ich schaue mich um, kann ich unter- und oberirdische Darstellung sofort korrelieren und weiß, wo ich bin. Solche Erfolgserlebnisse sind vielen Menschen wichtig und deshalb sollten Apps sie auch ermöglichen. Wer benutzt diese App? Wofür? Was ist gerade das Ziel und mit welcher Absicht wird es angesteuert? In Computerspielen sind solche Perspektiven selbstverständlich. Warum also sollten sie nicht auch bei Apps funktionieren. 

Zukunft Nahverkehr: Anders als die Mathematiker vermutet haben, sind in den Köpfen also doch noch kognitive Kapazitäten frei? 

Benedikt Schmitz: Ja, aber andere. Denn warum sollte das, was in Computerspielen klappt, nicht auch bei Navigations-Apps funktionieren. Wer benutzt diese App? Wofür? Was ist gerade das Ziel und mit welcher Absicht wird es angesteuert? Für userzentrierte Produkte wie Apps sollte es doch drin sein, Interfaces zu entwickeln, die eine entsprechende User Experience ermöglichen. Ich habe das mal für eine Fahrrad-Navigations-App durchgespielt. Da kannst Du zum Beispiel sagen, ich brauche zwar nur 20 Minuten zu meinem Ziel, habe aber 40 Minuten Zeit. Gib mir mal eine schöne Route. Warum soll das nicht auch mit Navi-Apps für den ÖPNV funktionieren. Schließlich kann ein Navi viel mehr, als Dir zu sagen, wann Du umsteigen oder links abbiegen musst. 

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Bildnachweis: Foto: Joshua Hoffmann