Artikel: „Wir schaffen das“
Die InnoTrans in Berlin war nicht nur globale Leitmesse, sondern für den deutschen Eisenbahnsektor auch ein „Mutmacher in schwierigen Zeiten“.
Das Messegelände unter dem Funkturm brummte vier Tage lang wie ein Bienenkorb. 170.000 Besuchende und 2.940 Aussteller aus 59 Ländern zählte die InnoTrans in Berlin, die weltweite Leitmesse für Eisenbahntechnik, die sich längst auch einen Namen in Sachen Public Transport und Mobilität gemacht hat. Nach Angaben der Veranstalter war es die größte Messe, die je in Berlin veranstaltet wurde.
Weltweit hat der Schienensektor enorme Bedeutung für den klimafreundlichen Ausbau der Verkehrssysteme. Sinnbild der InnoTrans als globale Eisenbahnmesse war der Velaro-Hochgeschwindigkeitszug auf dem voll belegten Freigelände. Siemens baut ihn für Ägypten, wo ein 2.000 Kilometer langes Neubaustreckennetz entsteht. Technologisch hat die InnoTrans die Bedeutung der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz sowie der alternativen Antriebe unterstrichen. Mit KI und Digitalisierung kann das System Schiene enorme Effizienzgewinne erzielen. Das gilt für die Fahrzeuge, aber noch mehr für die Infrastruktur. Die alternativen Antriebe, also Batterieantrieb und Brennstoffzellenbetrieb mit Wasserstoff, ermöglichen auf nicht elektrifizierten Strecken den Abschied vom Diesel. Wie weit diese Entwicklung inzwischen gediehen ist, zeigte ein Wasserstoffzug für den Fernverkehr des chinesischen Bahntechnik-Riesen CRRC. Laut Hersteller sind mit ihm Geschwindigkeiten bis 200 km/h und Reichweiten bis 1.200 Kilometer möglich.
Für den deutschen Eisenbahnsektor ist die InnoTrans seit jeher ein Stimmungsbarometer. Ungetrübte Freude zeigte es diesmal nicht an. Die Herausforderung der Sanierung des Streckennetzes ist groß, die öffentlichen Mittel sind knapp – nicht nur für die Ertüchtigung der Infrastruktur, sondern auch für die Finanzierung des Verkehrsangebots. Nach hohen Erwartungen an die Entwicklung des ÖPNV in den vergangenen Jahren wurde die aktuelle Situation zum Teil drastisch beschrieben. So zog das „Public Transport Forum“ der Messe das Fazit, die Verkehrswende sei abgesagt, der ÖPNV gelte aktuell mehr als finanzielles Problem denn als Teil der Lösung. Den Status quo zu halten, müsse unter diesen Voraussetzungen bereits als Erfolg gesehen werden. Allerdings hat das System Schiene nach den Worten von Bundesverkehrsminister Volker Wissing, der die InnoTrans eröffnete, auch weiterhin zentrale Bedeutung. „Unser gemeinsames Ziel ist eine moderne, klimafreundliche und zukunftsfeste Mobilität. Und ich denke, wir sind uns einig, bei einer solchen Mobilität steht die Bahn im Mittelpunkt.“
Von Tristesse war an den Messeständen denn auch nichts zu spüren: Die Fahrzeughersteller stellen sich für den deutschen Nah- und Regionalverkehr auf eine Zukunft ein, in der Kapazität und Flexibilität eine wesentliche Rolle spielt. Alstom zeigte den doppelstöckigen Regionalzug „Coradia Max“, dessen Innenlayout an unterschiedliche Bedürfnisse angepasst werden kann. Siemens stellte die neuen S-Bahnzügen für München ins Schaufenster und punktete mit dem Mock-up des Außendesigns. Mit dem Projekt „S-Bahn 2029+“ visualisierte DB Regio digital, wie bei künftigen S-Bahn-Generationen Komfort, Kapazität und Flexibilität unter einen Hut zu bringen sind. Stadler hatte mit dem doppelstöckigen KISS-Cityjet für die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) ein kapazitätsorientiertes Fahrzeug für den Regional- und Fernverkehr aufs Freigelände gebracht. Den Aspekt der Antriebswende beleuchtete derselbe Hersteller zudem mit dem „Flirt Akku“, der in der Pfalz zum Einsatz kommen wird, sowie mit dem „RS Zero“: Die Neuauflage des RegioShuttles, eines bewährten Klassikers auf Nebenstrecken, setzt je nach Wunsch des Kunden auf Batterie- oder Wasserstoffantrieb. Mit einem batteriebetriebenen Triebzug gab der kroatische Hersteller Končar eine auch optisch überzeugende Visitenkarte ab.
Dass viele klassische Eisenbahntechnik-Hersteller wie PESA, Skoda Transportation und Alstom Straßen- und U-Bahnen auf dem Freigelände präsentierten, verdeutlichte die Bedeutung und das Potenzial des Segments „Light Rail“. Besondere Highlights waren hier eine Wasserstoff-Tram von Hyundai Rotem und der lang erwartete „VDV-TramTrain“. Vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen auf den Weg gebracht, bestellen bei diesem Kooperationsprojekt sechs Verkehrsunternehmen aus Deutschland und Österreich gemeinsam bis zu 504 Fahrzeuge, die auf Straßenbahn- und auf Eisenbahnstrecken eingesetzt werden können. Den Zuschlag hatte vor zwei Jahren der Stadler erhalten. Zahlreich und international vertreten waren die Bushersteller, die einen Schwerpunkt auf alternative Antriebe legten. Auf einem rund 500 Meter langen Rundkurs konnte sich das Publikum einen Eindruck von den Fahrzeugen im Betrieb verschaffen.
Nicht nur Fahrzeuge, auch Verkehrskonzepte spielten auf der InnoTrans eine wichtige Rolle. Mit einer digitalen Simulation veranschaulichte DB Regio, wie sich miteinander vernetzte Linien- und On-Demand-Verkehre, Sharing-Angebote und Mobilitätsstationen zur Integrierte Alltagsmobilität addieren. Eine Modellregion für Integrierte Alltagsmobilität existiert bereits im Schleswig-Holstein, eine weitere wird es im Saarland geben. Die Absichtserklärung dazu unterzeichneten auf der InnoTrans Evelyn Palla, DB-Vorständin für den Regionalverkehr, und die saarländische Mobilitätsministerin Petra Berg. Einen Schub für innovative, flexible Verkehrsangebote könnten autonome On-Demand-Verkehre bedeuten. Eine ferne Utopie ist das nicht: Der Rhein-Main-Verkehrsverbund und DB Regio präsentierten ein Shuttle des gemeinsamen Projekts KIRA, des ersten autonomen Verkehrs im Automatisierungslevel 4 auf deutschen Straßen.
Weniger an die Branche als an die Politik gerichtet war ein Appell des Hamburger Verkehrssenator Anjes Tjarks, der auf der InnoTrans beim Deutschen Verkehrsforum (DVF) zu Gast war. Tjarks plädierte für ein neues Mindset bei der Förderung sowie Finanzierung innovativer Verkehrsprojekte, zudem erwartet er von der nächsten Bundesregierung einen kraftvollen und andauernden Infrastrukturausbau mit mehrjährigem Finanzierungskonzept. Für Fabian Amini, CEO Arverio Deutschland (vormals Go-Ahead), wäre eine Umschichtung im Haushalt zugunsten des öffentlichen Verkehrs und der Infrastruktur der richtige Weg der Finanzierung.
Die InnoTrans 2024 sei „ein Mutmacher in schwierigen Zeiten“ gewesen, resümierte DVF-Geschäftsführerin Dr. Heike van Hoorn nach vier prall gefüllten Messetagen. „Wenn wir die Branche hierzulande endlich politisch entfesseln, dann wird sie unsere Mobilitätsträume erfüllen können. Der Weg ist nicht einfach, aber: Wir schaffen das!“ VDV-Geschäftsführer Technik Martin Schmitz appellierte zum Abschluss der InnoTrans an die Branche, das kraftvolle und zukunftsgerichtete Auftreten zu nutzen, „um nun auch in Richtung EU und Bundespolitik die notwendige Unterstützung für unsere Transformation nachdrücklich einzufordern.“
Auf ihre ganz eigene Weise setzte die Community der Initiative ZUKUNFT NAHVERKEHR ein Zeichen: Sie traf sich zum Netzwerkabend. Bis auf den letzten Platz war das „Spreegold Bikini Berlin“ gefüllt, rund 300 Mobilitätsbegeisterte aus den unterschiedlichsten Bereichen, von Verkehrsverbünden über Start-ups bis hin zu Forschungsinstituten, teilten ihre Ideen und Visionen für eine nachhaltige Verkehrswende. Die Botschaft des Abends: Wenn wir zusammenarbeiten, können wir Großes erreichen!