„Ziel ist ein besseres Mobilitätsangebot“

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16. Juli 2024, 10:00 Uhr

Artikel: „Ziel ist ein besseres Mobilitätsangebot“

Das EU-Projekt SHOW klingt nach Entertainment, steht aber für Shared automation Operating models for Worldwide adoption und liefert Know-how für die Mobilität von morgen.

Zukunft Nahverkehr: Frau Cornet, Sie sind Professorin an der University of San Francisco und haben SHOW im Auftrag des Internationalen Verbands für öffentliches Verkehrswesen (UITP) koordiniert. Was hat SHOW mit ÖPNV zu tun? 

Henriette Cornet: Der zentrale Begriff im Kürzel ist das Wort Shared. Es steht für das, worum es bei SHOW im Kern geht: Die Erprobung von technischen Lösungen, Geschäftsmodellen und Szenarien, die geeignet sind, Mobilität in den Städten mit Hilfe von geteilten, automatisierten und elektrisch betriebenen Fahrzeugflotten nachhaltiger zu gestalten. Dabei stehen öffentliche Linienverkehre ebenso im Fokus wie Demand Responsive Transport (DRT), Mobility as a Service (MaaS) and Logistics as a Service (LaaS).  

Zukunft Nahverkehr: Wer verantwortet die Agenda?  

Henriette Cornet: SHOW ist ein durch und durch europäisches Projekt. Nicht nur in formaler Hinsicht – im Konsortium sind 70 Kooperationspartner aus 13 Ländern vertreten und die Pilotprojekte finden in 20 verschiedenen Städten statt –, sondern auch aus Gründen, die in der Sache selbst liegen: Europas Knowhow ist in zahlreichen Universitäten, Forschungsinstituten, Industriebetrieben und städtischen Projekten entstanden. Die gesellschaftliche Akzeptanz autonomer Mobilität ist in hohem Maß von kulturellen Aspekten abhängig, ihre Regulierung auch eine staatliche Aufgabe. Will man also wirklich etwas bewegen, geht das nur in einem gemeinsamen europäischen Projekt. 

Zukunft Nahverkehr: Gemeinsam klingt gut. Aber wir reden über eine Billionen-Branche. Geht Kooperation da nicht sehr schnell in Konkurrenz über?  

Henriette Cornet: Die Frage ist tatsächlich von so großer Bedeutung, dass sie bei Projekten wie SHOW schon im Vorfeld geregelt wird. Schließlich stehen Beteiligte aus der Industrie oft in direktem Wettbewerb zueinander, müssen aber auch im gemeinsamen Interesse miteinander kooperieren können. Die Europäische Kommission schafft deshalb mit einem so genannten Consortium Agreement Rahmenbedingungen, die die Interessen aller Konsortialmitglieder wahrt. Dieses Agreement wird mit Heerscharen von Anwälten verhandelt und regelt beispielsweise den Umgang mit Geistigem Eigentum. Der Aufwand mag groß sein, ist aber verständlich. Schließlich ist die Regelung solcher Rechte für Unternehmen lebensnotwendig. 

Zukunft Nahverkehr: Für die EU nicht? 

Henriette Cornet: In gewisser Hinsicht schon. Die Europäische Kommission hat ebenfalls großes Interesse daran, dass das investierte Geld am Ende des Tages die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen stärkt. Das ist ein sehr, sehr wichtiger Punkt, und den berücksichtigen wir Forschende selbstverständlich. Tatsächlich ist die Art und Weise, in der private Unternehmen und öffentliche Institutionen in Europa kooperieren, wirklich einzigartig. In den USA schauen die meisten ganz ungläubig, wenn ich davon erzähle. Aber ich bin überzeugt, dass diese Kooperationsbereitschaft uns als EU sehr stark macht.  

Zukunft Nahverkehr: Ziehen Automobilindustrie und öffentliches Verkehrswese beim Thema autonome Mobilität auch im Alltag an einem Strang?  

Henriette Cornet: Es mag banal klingen, aber Automobilindustrie will Autos verkaufen und künftig sollen das eben autonom fahrende Autos sein. Damit verbunden ist das Versprechen, Autos komfortabler und vor allem sicherer zu machen. Deshalb wird diese Entwicklung ja auch von der EU gefördert. Im ÖPNV ist Mobilität selbst das Thema. Man automatisiert also kein Produkt, sondern eine Dienstleistung, denkt an ein neues Mobilitätssystem, mehr Erreichbarkeit oder mehr Barrierefreiheit und wird autonome Fahrzeuge zuerst dort einsetzen, wo manuell betriebene zu teuer sind. Es geht also darum, das Gesamtmobilitätsangebot zu verbessern, was zwangsläufig mit komplexeren Anforderungen und Lösungen verbunden ist. Trotzdem ist das Interesse der Automobilbranche am autonomen Fahren auch für den Öffentlichen Verkehr von Vorteil, weil deren hohe Nachfrage nach Sensorik die Kosten dieser Technologie auf Dauer reduziert.  

Zukunft Nahverkehr: In Bonn hat der ÖPNV Mitfahrgelegenheiten in privaten PKW bereits ins Ticketing integriert. Wird die Grenze zwischen beiden Systemen irgendwann verschwimmen? 

Henriette Cornet: Solche Initiativen zeigen, was möglich ist. Ich finde sie sehr ermutigend. In den USA kann man ähnliche Entwicklungen beobachten. Sie laufen dort unter der Bezeichnung MaaS Mobility as a Service und werden zum Beispiel von Ride Hailing Services wie Uber erbracht. Diese Services bedienen dann die erste und letzte Meile zwischen Wohnort und Bahnhof und rechnen die Fahrt direkt mit dem Public-Transport-Provider ab, der sie beauftragt hat. Fahrgäste müssen wenig oder nichts zahlen. Perspektivisch werden diese Leistungen sicher immer öfter mit autonomen Fahrzeugen erbracht. Das wäre eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten: Städte könnten einen attraktiveren ÖPNV auf die Beine stellen. Die Bevölkerung bekäme ein hochwertiges Mobilitätsangebot und für Provider von Ride Hailing Services entstünden Einnahmequellen. Ich finde das vielversprechend.