Artikel: Ab aufs Wasser!
Wenn es um ÖPNV geht, ist selten von Schiffen die Rede. Das könnte sich aber bald ändern. Die Flotten wachsen und Wasserwege sollen die Straßen entlasten.
Im Tragflächenboot mit Elektroantrieb zur Arbeit pendeln? Inselhopping an der Nordsee? Einfach mal mit dem Schiff über den Bodensee schippern anstatt um ihn herum zu fahren?
Wer in Stockholm arbeitet, auf Wangerooge zu tun hat oder am schwäbischen Meer zuhause ist, braucht für solche kleinen Fluchten aus dem Alltag nur ein ÖPNV-Ticket. Gleiches gilt für Lissabon, wo viele Pendler:innen lieber eine der Fähren über den Tejo nehmen, anstatt in der Rushhour auf der verstopften Hängebrücke im Stau zu stehen. In Bangkok würde sich ohne Kanal-Taxis wohl gar nichts mehr bewegen, und in Venedig fahren sowieso keine Autos, dafür aber Wasserbusse.
ÖPNV mit einer Brise Seeluft ist hierzulande zwar auch heimisch, aber tief in die Alltagsmobilität integrierter Nahverkehr auf dem Wasser ist vor allem in Hamburg und Kiel zuhause. In der Hansestadt sorgt die Hamburger-Hochbahn-Tochter HADAG mit acht Linien und 20 Anlegern nicht nur für nahtlose Anschlüsse entlang der Elbe. In der Hamburger Bürgerschaft wird auch diskutiert, das Mobilitätsangebot auf dem Wasser auszubauen und die Alster einzubeziehen, um Straßen, Busse und Bahnen zu entlasten. Ein Novum wäre das nicht: Bis 1984 war die 1859 ins Leben gerufene Alsterschifffahrt eine fest Größe im Berufsverkehr. In Kiel sorgt die Schlepp- und Fährgesellschaft Kiel mit einer ganzjährig und einer saisonal betriebenen Linie für öffentliche Mobilität auf der Förde.
Berufsverkehr spielt auch auf dem Bodensee eine prominente Rolle. Zentrale Bedeutung haben hier die Auto- und Personenfähren zwischen Meersburg und Konstanz (Linienbusse dürfen hier zuerst an Bord) beziehungsweise Friedrichshafen und Romanshorn sowie die zwischen Friedrichshafen und Konstanz verkehrenden Katamarane, die ausschließlich Personen befördern.
Fähren dominieren auch in Berlin das öffentliche Mobilitätsangebot auf dem Wasser. Die Berliner Verkehrsgesellschaft BVG betreibt allein zehn Linien, darunter auch Kuriositäten wie die Fährlinie F24, mit der Fahrgäste per Ruderboot zwischen Rahnsdorf und Müggelheim übergesetzt werden. Ähnlich wie in Hamburgs Bürgerschaft denkt man im Berliner Abgeordnetenhaus mittlerweile ebenfalls laut darüber nach, Flüsse als Trassen für Linienverkehre zu nutzen. Konkrete Projekte sind aber noch nicht am Start.
Ganz anders sieht es bei der Modernisierung der Flotten und der Reduzierung der Emissionen aus. Hier machen beide Städte Nägel mit Köpfen: Die HADAG ist bereits mit zwei diesel-elektrisch betriebenen Schiffen unterwegs und hat gerade die erste von insgesamt drei bestellten Hybridfähren in Empfang genommen. Die neuen Fähren sind mit modernster Batterietechnologie sowie einem Diesel-Range-Extender ausgestattet, werden zwei Mal täglich nachgeladen und bieten bis zu 250 Fahrgästen Platz. In Berlins Gewässern ziehen elektrisch betriebene Solarfähren bereits seit 2014 ihre Kreise. Die von einem 10 kW starken Motor angetriebenen Barkassen beziehen ihren Strombedarf über auf dem Dach montierte Solarmodule und können bis zu 49 Fahrgäste mitnehmen.
Emissionsärmer und zugleich schneller kommt man nun auch nach Wangerooge. Seit 19. Juni ist dort der „Wattsprinter 1“ als jüngstes Flottenmitglied der Schifffahrt und Inselbahn Wangerooge (SIW) am Start. Die Schnellfähre verkürzt die reine Fahrzeit zwischen Harlesiel und Wangerooge auf zwanzig Minuten, ist 40 Minuten schneller als die bisherigen Linienschiffe und kann mit schadstoffarmem Gas-To-Liquids-Treibstoff betankt werden.
Wer mal mit einem flotten Tragflügelflitzer emissionsfrei übers Wasser huschen will, muss bis auf Weiteres nach Stockholm – und sicher auch ein paar Mal umsteigen, wenn der Spaß nicht zu kurz sein soll: Die elektrisch betriebenen Schiffe verbrauchen zwar 80 Prozent weniger Energie als konventionelle Wettbewerber, müssen dafür aber auch mit einer maximalen Reichweite von 50 Seemeilen auskommen.