Das Tempolimit soll’s richten

Zum Inhalt springen
08. Oktober 2024, 10:04 Uhr

Artikel: Das Tempolimit soll’s richten

Der Verkehrssektor reißt seine Klimaziele notorisch. Die Sommer-Debatte um Lösungen hat das Tempolimit in den Fokus gerückt. Eine Bestandaufnahme.

Die Zahlen sprechen für sich: Trotz ihres zehnprozentigen Anteils am Modal Split (BMDV, 2021) gehen nur knapp fünf Prozent aller CO2-Emissionen des Personenverkehrs auf das Konto von Bus und Bahn. Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass Deutschlands Verkehrssektor sein Emissionskonto im Stichjahr 2030 um 29 Mio. Tonnen überziehen wird. Addiert man die Überschreitungen seit Einführung des nationalen Emissionshandels im Jahr 2021, kommen sogar satte 180 Mio. Tonnen zusammen.  

Die Kosten, die dem Bund durch den dann erforderlichen Kauf zusätzlicher Emissionszertifikate entstehen würden, sind beachtlich, gleichzeitig aber schwierig zu beziffern. Denn anders als im aktuellen nationalen Emissionshandel wird es in dem ab 2027 für den Verkehrssektor verbindlichen europäischen Emissionshandelssystem 2 keine Festpreise oder Preiskorridore geben. Die europäische Umwelt-Organisation Transport & Environment (T&E) bezieht sich bei ihren Prognosen deshalb auf das seit 2005 bestehende europäische Emissionshandelssystem 1 und kalkuliert für 2030 mit 129 Euro pro Zertifikat und Tonne. Es gibt aber auch Schätzungen, die weit darüber hinaus gehen. 

Was daraus folgen sollte, liegt für Sebastian Bock, den Geschäftsführer von T&E Deutschland, klar auf der Hand: „Die Bundesregierung hat mit der Novelle des Klimaschutzgesetzes zwar die Sektorziele abgeschafft. In der EU haben sie jedoch weiterhin Bestand und etwaige Verfehlungen sind an Zahlungen gebunden. Um das zu verhindern, muss der Verkehrsminister jetzt ein ambitioniertes Sofortprogramm vorlegen, um den Straßenverkehr schnellstmöglich zu elektrifizieren und die Bahn und den öffentlichen Nahverkehr zu einer echten Alternative auszubauen“. 

Was also läge näher als den Modal-Split-Anteil von Bus und Bahn hochzufahren, um die für den Verkehrssektor vereinbarte Minderung der Netto-Treibhausgasemissionen um 43 Prozent gegenüber dem Stand von 2005 doch noch zu erreichen? Wie es gelingen könnte und was es kosten würde, hat der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) schließlich schon in seinem 2021 vorgestellten Leistungskostengutachten errechnet. Danach wäre zur Umsetzung der Klimaschutzziele eine Steigerung der Verkehrsleistung um 24 Prozent und ein zusätzlicher Finanzierungsbedarf von elf Milliarden Euro im Jahr 2030 erforderlich. 

ÖPNV zum Schnäppchenpreis? 

Im Vergleich mit den Mehrkosten für Emissionszertifikate klingt das nach einem Schnäppchen, ist mit Blick auf die historische Entwicklung der Verkehrsleistung des Straßenpersonenverkehrs allerdings durchaus ambitioniert: „In den letzten dreißig Jahren war die Verkehrsleistung von Bus, Straßenbahn und U-Bahn annähernd stabil“, diagnostiziert das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und beziffert das Volumen mit rund 80 Milliarden Personenkilometern. Anders sieht es auf der Schiene aus. Schienenpersonennahverkehr (SPNV), Regional- und Fernverkehr konnten die Personenkilometerleistung im selben Zeitraum nahezu verdoppeln.  

Geht es nach dem Umweltbundesamt (UBA), haben Schiene und Umweltverbund aber noch viel Luft nach oben: Die ursprünglich vom Bund angestrebte Verdoppelung der Verkehrsleistung bis 2030 hält die Behörde zwar nicht mehr für realistisch, ein Plus von 70 Prozent auf Basis des Jahres 2018 hingegen schon. Lohn der Mühe wäre eine Minderung der CO2-Emissionen um 17 Millionen Tonnen, zwingende Voraussetzung die Erhöhung der Regionalisierungsmittel und mehr Geld für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Die dafür nötigen Mittel sollen aus dem Abbau klimaschädlicher Subventionen kommen. 

Warum es die Stärkung der Schiene und der Ausbau des ÖPNV trotzdem nur auf die Plätze sechs und sieben von insgesamt acht Handlungsempfehlungen für die Politik schaffen, hat einen einfachen Grund. Positive Auswirkungen auf Umwelt, Klima und Emissionsbilanz sind dort am größten, wo die Treibhausgase entstehen – im Verkehr: Allein ein ab sofort wirksames Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen könnte die CO2-Emissionen im Verkehrssektor bis 2030 um 38 Millionen Tonnen reduzieren, wenn man das aktuell vom UBA verwendete Berechnungsmodell zugrunde legt. Bei 129 Euro pro Zertifikat und Tonne liefe das unter dem Strich immerhin auf Einsparungen von 4,9 Milliarden Euro hinaus.