Artikel: Der Chamäleon-Transporter
Logistik und ÖPNV – geht das zusammen? Bisher eher nicht. Das Forschungsprojekt IMoGer des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt will das ändern.
Der Morgen beginnt ruhig. Kein Diesel-Dröhnen auf den Straßen. Kein nerviges Piepsen von Rückwärtsrangieren vor der Haustür. Nur ein kleines, kastenförmiges Fahrzeug, das fast lautlos durch die Straßen surrt, beladen mit frischem Brot und der Post. Während die Sonne langsam die Stadt wachkitzelt und Pendler die Straßen fluten, wechselt das Fahrzeug innerhalb weniger Minuten sein Äußeres, wie ein Chamäleon. An einer Wechselstation wird das Frachtmodul abgekoppelt, an seiner statt rastet ein geräumiges Passagiermodul auf dem Fahrgestell ein – und aus dem stillen Transporter wird ein komfortabler Shuttle, der erst die Menschen zur Arbeit bringt und mittags die Schulkinder nach Hause – und später dann als mobiler Pop-up-Laden dient.
Leuchtturm der Mobilität
Der Gedanke, Logistik und Personenverkehr zu verbinden, ist wahrlich kein neuer. Bisher wirkten die Versuche, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen, aber eher wie Kurzzeitexperimente: Es gab bereits Regionalbusse, die Päckchen mitnehmen. Straßenbahnen, die nachts Geschäfte belieferten. Cargo-Trams, die Fabriken mit Nachschub belieferten. Erfolgreich war das alles nicht. Jetzt will das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit modularen autonomen Fahrzeugen schaffen, was bisher nicht gelang. Das Forschungsvorhaben heißt „IMoGer“, Kurzform für „Innovative modulare Mobilität Made in Germany“. Der Bund fördert es mit 35 Millionen Euro. Laut Bundesverkehrsminister Volker Wissing, der Mitte Februar persönlich den Bescheid übergab handelt es sich um „ein Leuchtturmprojekt, das die Zukunft der Mobilität in Deutschland maßgeblich prägen wird.“Module, die die Verkehrswelt verändern
Das Herzstück von IMoGer ist die vom DLR entwickelte Fahrzeugplattform U-Shift: eine U-förmiges Fahrgestell, das sogenannte Driveboard, das je ach Einsatzgebiet mit unterschiedlichen Modulen ausgestattet werden kann und so flexibel einsetzbar ist. Ein Schweizer Taschenmesser auf Rollen, noch dazu elektrisch und autonom. Die Hoffnung: Straßen werden entlastet, der Verkehr wird reduziert, die Luft wird wieder rein. Die ersten Gehversuche hat die neue Technologie bereits hinter sich: 2023 rollte U-Shift durch die Bundesgartenschau in Mannheim. Rund 10.000 Besucher:innen machten hier eine Probefahrt. Und im Braunschweiger Stadtteil Schwarzer Berg soll jetzt eine Flotte aus neun U-Shifts beweisen, dass ein ganzheitlicher Mobilitätsansatz funktioniert. Meike Jipp, Bereichsvorständin beim DLR, erklärt: „Damit bereiten wir den Weg für den zukünftigen Hochlauf und Regelbetrieb der modularen Mobilität, schaffen eine solide Grundlage für Zulassung und Skalierbarkeit und entwickeln damit verbundene Geschäftsmodelle.“ Diese könnten entscheidend sein für den Erfolg der Technologie. Denn, wenn die Plattform maximal flexibel ist, von möglichst vielen ÖPNV- wie Logistikunternehmen genutzt und auch unabhängig betrieben werden kann, hat sie eine Chance am Markt.Die Straßen von morgen
Die Chancen für IMoGer stehen aber nicht schlecht. Auf dem „Testfeld Niedersachsen“ in Braunschweig stellt das DLR nämlich auch andere Technologie auf die Probe, die U-Shift einen Innovationsvorsprung verschaffen könnten. Das Forschungsprojekt MAD Urban, das ebenfalls hier getestet wird, soll autonome Fahrzeuge mit ihrer Umgebung vernetzen. Sensoren an Straßenlampen oder am Straßenrand orten die Fahrzeuge, erfassen ihr komplettes Umfeld und helfen den Bussen und Autos so, sich zurechtzufinden. Wird die Vision der DLR-Forscher wahr, ist das Fahrzeug in Zukunft nur ein Teil in einer großen intelligenten Infrastruktur.Diese smarten Technologien, gepaart mit flexiblen Einsatzmöglichkeiten: Damit könnte wirklich was ins Rollen kommen.