Artikel: Dicke Autos, hohe Wellen
Bürgerentscheide machen Schlagzeilen. Ob sie Verkehrsprojekten Rückhalt verschaffen, steht auf einem anderen Blatt. Grund für ein Pro & Contra zum Pariser SUV-Entscheid.
Pro: Anne Hildago hat gefragt und Paris hat geantwortet: Die Mehrheit will keine SUV im Viertel, und wenn SUV-Fans trotzdem mit ihren Panzern einrollen, sollen sie fürs Parken wenigstens drei Mal mehr als alle anderen blechen. Jedenfalls dann, wenn sie nicht in einem der 20 Arrondissements leben, in denen man schnell mal 50 Euro Miete pro Quadratmeter zahlt. Klingt gemein und undifferenziert, ist es aber nicht: Städte haben schon immer gesteuert, wer rein darf. Ganz früher an der Stadtmauer, dann über Mieten und sozialen Wohnungsbau, jetzt halt auch über Parkgebühren.
Der Einwand, die Mobilitätswende sei zu komplex, um sie mit undifferenzierten Entweder-oder-Entscheidungen voranbringen oder legitimieren zu können, ist ähnlich substanzlos. Klar, eine Schwalbe macht keinen Sommer und ein paar gedisste SUV-Fahrer:innen machen keine Mobilitätswende. Dasselbe gilt allerdings auch für Pendler-Apps, Radwege, neue U-Bahnlinien, die Wiederinbetriebnahme stillgelegter Bahnstrecken oder das Deutschland-Ticket. Alle diese Veränderungen kommen nur ins Rollen, wenn irgendwann mal mehr Menschen „Ja“ als „Nein“ sagen.
Das gilt selbst für Megaprojekte wie das Ziel, den Klimawandel zu bremsen: Dem Pariser Abkommen zur Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs liegt ein ebenso klares Ja zur Dekarbonisierung wie ein entschiedenes Nein zur globalen Erwärmung zugrunde. Dass beide Positionen unter dem Druck von Interessenkonflikten zu einem wachsweichen „Jein“ verschwommen sind, mag bedauernswert sein, liegt aber nicht an den bezogenen Positionen, sondern an den begrenzten Handlungsspielräumen internationaler Politik.
Contra: Nun haben sie also entschieden, die Pariser:innen: Die SUV bleiben draußen – und wenn nicht, kostet das Parken ein Vermögen. Gut so. Aber befriedet ist der Konflikt damit nicht. Die Auswärtigen durften nicht mit abstimmen. Und die Pariserinnen und Pariser müssen die hohen Parkgebühren selbst gar nicht zahlen, sollten sie denn ein SUV besitzen. Die Folge: Nicht mal sechs Prozent gaben ihre Stimme ab. Dass das keine Legitimität schafft, weiß die Autolobby ganz genau. Und kündigte an, bei ähnlichen Projekten in anderen Städten ihre Klientel auf die Barrikaden zu rufen.
Wenn Bürgerentscheide zukunftsgerichteten Verkehrsprojekten Rückhalt verschaffen sollen, ist das ein dünnes Eis. Der Bürgerentscheid über eine Stadtbahn für Wiesbaden ist 2020 krachend gescheitert. 62,1 Prozent stimmten dagegen. Die Verkehrsprobleme der Stadt sind weiter ungelöst. Die Unterstützer:innen der Citybahn bleiben weiter dran. Anderes Beispiel: 2011 votierten 59 Prozent der Bürger:innen in Baden-Württemberg gegen einen Ausstieg des Landes aus Stuttgart 21. Das Projekt wurde weitergebaut. Die Proteste hielten an.
Bei einem Bürgerentscheid werden Stimmen gezählt. Nicht in die Waagschale fällt der Grad der tatsächlichen oder gefühlten Betroffenheit, die Intensität der persönlichen Motivation. Nur bei großer Mobilisierung haben solche Entscheide Aussagekraft. Aber wo die Mobilisierung groß ist, sind auch die Gräben tief. Wer unbedingt etwas will oder ablehnt, wird sich durch Mehrheiten nicht umstimmen lassen. Was es deshalb braucht, sind mutige Verkehrspolitiker:innen, die innovative Projekte im Dialog entwickeln, gut kommunizieren und die Entscheidung auf ihre Kappe nehmen. Dafür sind sie gewählt, dafür haben sie ein Mandat. Wenn das nicht reicht, hilft auch kein Bürgerentscheid.