Artikel: Im Konvoi über Land
So individuell wie das Auto, so energieeffizient wie der Bus: NeMo.bil will das Beste aus zwei Welten. Und hat dafür den Deutschen Mobilitätspreis 2024 bekommen.
Wenn neue Ideen wirklich mutig sind, verschieben sie die Grenzen des bisher Gedachten. Sollten sie dann auch noch umgesetzt werden können, verändern sie die Wirklichkeit. Das Projekt NeMo.bil gehört in diese Kategorie. Es verbindet konzeptionell On-Demand-Verkehr, Schwarmintelligenz, Platooning, autonomes Fahren und Ladeinfrastruktur zu einem vernetzten Ganzen. Dass dieser Ansatz disruptiv ist, geben die Macherinnen und Macher von NeMo.bil gerne zu. Aber bezwecken wollen sie damit auch nicht weniger als eine „bislang nicht realisierbare Energie- und Ressourcen-Effizienz“ und ein „völlig neues Mobilitätssystem für die häufig vergessenen ländlichen Räume“. 20 Partner aus Wissenschaft und Industrie stehen hinter dem Vorhaben, das sich aus Mitteln der EU und des Bundeswirtschaftsministeriums finanziert. Mit dem Deutschen Mobilitätspreis 2024 in der Kategorie „Neue Mobilitätslösungen“ hat es Ende Oktober weiteren Rückenwind bekommen.
„NeMo.Cab“ und „NeMo.Pro“, so heißen die Protagonisten des Konzepts. Nemo.Cabs sind ultraleichte, elektrisch betriebene und autonom fahrende Shuttles für bis zu vier Personen. Im On-Demand-Verkehr holen sie die Fahrgäste an der Haustür ab. NeMo.Pro kommt ins Spiel, wenn mehrere Cabs bei Überlandfahrten in dieselbe Richtung wollen. Dann bilden sie einen Platoon: Sie koppeln sich aneinander und fahren energieeffizient im Konvoi.
Nemo.Pro fungiert als Zugfahrzeug des Konvois, um größere Entfernungen mit größeren Geschwindigkeiten überbrücken zu können. Den Strom stellt es durch Umwandlung von Wasserstoff in einer Brennstoffzelle her. Im Zielgebiet löst sich der Konvoi auf, das letzte Stück zu den Zieladressen der Fahrgäste legen die Cabs allein zurück. Zugleich dient Nemo.Pro als mobile Ladeinfrastruktur und ergänzt damit die zentralen Hubs für die Energieversorgung der Flotte. Bei der Fahrt im Konvoi gibt NeMo.Pro Energie an die NeMo.Cabs ab. Ein bidirektionales Ladesystem ermöglicht zudem den Energieaustausch zwischen den Fahrzeugen. Durch die Kombination beider Fahrzeugtypen und die energetische Vernetzung der ganzen Flotte erwartet das Projekt einen Gesamtenergieverbrauch auf niedrigstem Niveau.
NeMo.bil ist ein Ansatz, der in drei Dimensionen wirkt. Erstens will NeMo.bil als Verkehrskonzept den On-Demand-Verkehr, der heute auf die „letzte Meile“ beschränkt ist, flächen- und entfernungstauglich machen. Zweitens setzt NeMo.bil auf größtmögliche Energieeffizienz. Das liegt schon deshalb in der Natur der Sache, weil das Konzept Mobilität individuell abbilden, aber den Energie- und Ressourcenverbrauch des Individualverkehrs vermeiden will. Drittens zielt NeMo.bil auf schwarmintelligente, digitale Lösungen und eine entsprechende Dateninfrastruktur. Konkret geht es vor allem darum, das bekannte Ridepooling (mehrere Fahrgäste mit ähnlichen Zielen teilen sich ein Fahrzeug) zum „Cab-Pooling“ zu erweitern (mehrere Fahrzeuge mit ähnlichen Zielen bilden einen Konvoi).
NeMo.bil ist zweifellos visionär und nennt die Vision auch beim Namen. Sie heißt „individuell-Öffentlicher Verkehr“ (iÖV) – eine Mobilitätsform, die es so bislang nicht gibt. Mit dem On-Demand-Verkehr ist der ÖPNV zwar schon individueller geworden. Aber der heutige On-Demand-Verkehr soll nur den Nahbereich und den Weg bis zum nächsten Linienverkehr abdecken. Mit dem iÖV bräuchte es den Linienverkehr nicht mehr. An seine Stelle tritt bei NeMo.bil der Konvoi.
Geht diese Rechnung auf, wären die Fahrgäste tatsächlich so individuell mobil wie mit dem Auto und zugleich so klimafreundlich unterwegs wie mit dem Bus. Ob sie aufgeht, ob das Beste aus zwei Welten tatsächlich unter einen Hut zu bringen ist, muss das mit 30 Millionen Euro geförderte Projekt zeigen. Von der Paderborner Initiative „Neue Mobilität“ auf den Weg gebracht, läuft es noch bis Mitte 2026. Anfassbare Erfolge gibt es bereits: Auf dem Paderborner Rathausplatz stellten die NeMo.bil-Partner im Sommer drei Prototypen des automatisierten, ultraleichten Cabs der Öffentlichkeit vor und diskutierten mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Ebenfalls im Sommer fanden auf einem ADAC-Gelände im bayerischen Penzing erste Tests der Prototypen statt.