Jetzt ist die Politik am Zug

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28. Februar 2025, 07:00 Uhr

Artikel: Jetzt ist die Politik am Zug

Mit einem gemeinsamen Thesenpapier wollen Branchenverbände der Modernisierung des ÖPNV Anschub geben. Die Ansätze, Ideen und Vorschläge im Überblick.

Wer schon einmal versucht hat, mit Bus und Bahn durch Deutschland zu reisen, weiß: Es ist manchmal ein Durcheinander. Mal ist der Zug pünktlich, aber der Anschlussbus kommt nicht. Mal gibt es ein Ticket, das nur in einer bestimmten Stadt gilt, und schon im Nachbarort ist es wertlos. Warum? Weil der ÖPNV in Deutschland ein nur schwer zu durchblickendes Dickicht aus Strukturen, Verantwortlichkeiten und Betrieben ist. Wer wofür zuständig ist und was finanziert, hat sich über Jahrzehnte im Mit- und manchmal auch Gegeneinander von Bund, Ländern und Kommunen entwickelt. Für den Nahverkehr auf der Schiene (SPNV), der mit Regionalisierungsmitteln des Bundes bezahlt wird, sind nämlich in den 16 Bundesländern 27 sehr unterschiedlich strukturierte Aufgabenträgerorganisationen verantwortlich. Mal handelt es sich um Verkehrsverbünde, mal um Zweckverbände, mitunter auch um Landesgesellschaften, die Verkehrsleistungen planen und bestellen. Noch unübersichtlicher wird es beim Nahverkehr auf der Straße (ÖSPV). Den organisieren und finanzieren in der Regel die Landkreise und Städte. Ob und wie sie dabei vom Land unterstützt werden, ist von Land zu Land unterschiedlich. Die Zahl der Aufgabenträger im ÖSPV geht in die Hunderte. Wer wofür zuständig ist und was finanziert, hat sich über Jahrzehnte im Mit- und manchmal auch Gegeneinander entwickelt.

Weniger ChaosLange Zeit galten diese Strukturen als kaum reformierbar. Jetzt aber haben der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), der Bundesverband Schienennahverkehr (BSN) und der Verband mofair ein Thesenpapier vorgestellt, das die deutsche Nahverkehrslandschaft durchgreifend verändern kann. Statt vieler kleiner Einheiten sollen größere, übersichtlichere Organisationen entstehen, orientiert an den Bundesländern. Legt man dem die 13 Flächenländer zugrunde, würde das mehr als eine Halbierung der Anzahl der Aufgabenträger im SPNV bedeuten. Zugleich sollen diese mit Blick auf den ÖSPV eng mit den Kreisen und Kommunen kooperieren. Dass dies praktikabel ist, zeigt beispielhaft NAH.SH in Schleswig-Holstein. Als Gesellschaft des Landes ist NAH.SH Aufgabenträger im SPNV und verknüpft diesen zugleich mit dem Busverkehr. 

Mehr Angebot Den Verbänden geht es aber auch um ein besseres Angebot für die Fahrgäste. Sie plädieren für Mindestbedienstandards, die den ÖPNV flächendeckend attraktiver machen sollen. Busse und Züge müssen dafür im Takt fahren, sich perfekt ergänzen und Reisenden auch in entlegene Regionen bringen. Und wer nicht direkt an einer Linie wohnt, braucht die Möglichkeit auf ein On-Demand-Shuttle. Und das alles am besten noch bezahlbar. Am besten zu erreichen ist dies durch vernetzte Angebote auf Straße und Schiene. 

Ein TicketRevolutionär ist schließlich ebenfalls, was die Verbände für die Tarifsysteme vorschlagen: Das Deutschlandticket soll „zu einem vollständigen Tarifsystem“ ausgebaut werden. Das bedeutet im Klartext: Die in Tariffragen autonomen Nahverkehrsorganisationen sind bereit, Besitzstände aufzugeben und gemeinsam die Chancen des Deutschlandtickets offensiv zu nutzen. Wie das im Einzelnen aussehen soll, bleibt zwar noch offen. Als gesetzt betrachtet werden darf jedoch der Gedanke der Einfachheit. Kein Wirrwarr aus verschiedenen Tarifen, keine komplizierten Preismodelle. Einfach einsteigen und losfahren. Das ist nicht nur praktisch, sondern macht den ÖPNV für alle zugänglich.

Mehr VerlässlichkeitMit ihren Vorschlägen schicken die Verbände „ein starkes Signal in Richtung Berlin“, sagt BSN-Präsident Thomas Prechtl. Geknüpft ist dies aber an Erwartungen. Die Branche sieht sich zunehmend mit dem Rücken zur Wand, weil es an verlässlicher und ausreichender Finanzierung fehlt. Das betrifft neben dem Deutschlandticket, an dem die Verbände unbedingt festhalten wollen, vor allem das Verkehrsangebot und die Sanierung der Infrastruktur. Beim Verkehrsangebot kommt die Branche immer öfter der deutlich gestiegenen Nachfrage nicht mehr hinterher. Sie muss teilweise sogar kürzen, weil das Geld nicht reicht. Ernste Sorgen und zudem hohe Kosten plagen die Branche im Hinblick auf den schlechten Zustand vor allem der Schieneninfrastruktur. Hier verlangen die Verbände Sanierung, Modernisierung und weiteren Ausbau. Der Bund müsse dies langfristig und verbindlich finanzieren, „zum Beispiel über einen Infrastrukturfonds für das gesamte Netz“, so Thomas Prechtl.

Ein Aufruf zum HandelnDas Thesenpapier der Verbände ist mehr als ein Vorschlag – es ist ein Aufruf zum Handeln an die Politik. Und die Verbände sind bereit, ihren Beitrag zu leisten: Sie wollen den nötigen Ausbau des Angebots und die Sanierung der Infrastruktur unterstützen, indem sie die Organisationsstrukturen im ÖPNV verschlanken und die Angebotsstrukturen modernisieren. Es ist ein Angebot an die Politik, eine Vorlage für eine neue Bundesregierung. Nimmt sie den Ball auf, kann daraus ein großer Wurf werden.

Den Branchenverbänden ist es absolut ernst mit ihrer Botschaft der Geschlossenheit, ihrem Willen zu Reformen und ihrem Appell, den ÖPNV entsprechend seiner Bedeutung für Klimaschutz und soziale Teilhabe zu priorisieren. „Es wird höchste Zeit, die politischen Weichen so zu stellen, dass wir in Deutschland endlich Planungssicherheit für einen zukunftsfähigen und attraktiven öffentlichen Verkehr haben“, sagt VDV-Präsident Ingo Wortmann. Setzt die neue Bundesregierung diese Vorschläge um, könnte am Ende ein Nahverkehr dabei rauskommen, der wirklich funktioniert – bei dem Land, Kreise und Städte Hand in Hand arbeiten, um Bus und Bahn optimal zu verknüpfen. 

Das Thesenpapier der Verbände zum Download