Artikel: Small is beautiful
Mit welchen Zügen lassen sich Nebenstrecken erhalten und reaktivieren? In Frankreich solle es „Draisy“ richten. Auch in Deutschland gibt es Konzepte.
Sympathisches Gesicht und modernes Design, hell und freundlich, knuffig klein: Kein Zweifel, „Draisy“ hat das Zeug zum Publikumsliebling. Dazu wird der Leichttriebwagen ganz bestimmt, wenn er frischen Wind auf die nicht elektrifizierte Nebenstrecken in Frankreich bringt – und damit das hält, was sich der elsässische Hersteller Lohr und die Französischen Staatsbahn SNCF von ihm versprechen. Ende September stellten die Projektpartner das Draisy-Design in Straßburg vor. Ins Rollen kommen soll der Zug Anfang 2027 bei ersten Praxistests in Lothringen. Die dafür ausgesuchte Strecke Saaralbe – Kalhausen liegt nur wenige Kilometer von der Grenze zum Saarland entfernt.
Draisy wurde konsequent für einen wirtschaftlichen Nebenbahnbetrieb optimiert. Mit 14 Metern Länge und 20 Tonnen Gewicht ist das Fahrzeug nur etwa halb so lang und halb so schwer wie die einteiligen Dieseltriebwagen, die sonst auf französischen Nebenstrecken fahren. Anders als diese kommt Draisy auch nur mit zwei Achsen aus. Draisy kann 80 Fahrgäste mitnehmen, 30 davon haben Sitzplätze. Die Batterien für den elektrischen Betrieb schaffen 100 Kilometer und werden an Schnellladestationen an den Bahnsteigen aufgefüllt. Dass Draisy nur 100 km/h schnell ist, dürfte in der Praxis keine Rolle spielen. Die meisten ländlichen Nebenstrecken erlauben ohnehin keine höhere Geschwindigkeit.
Das Motto „Small is beautiful“ gilt nicht nur für Frankreich. In Deutschland geht das „Aachener Rail Shuttle“ (ARS) denselben Weg. Auf der globalen Eisenbahnmesse InnoTrans im September in Berlin stellte das Institut für Schienenfahrzeugtechnik der RWTH Aachen den Prototyp vor. Auch das ARS ist mit 13 Metern kaum länger als ein Linienbus, setzt auf Leichtbau und Batterieantrieb. Die Ambitionen des Aachener Instituts gehen allerding noch weiter: Das ARS soll autonom fahren und dafür mit Systemen zur Umfelderkennung und Fahrwegüberwachung ausgestattet werden. Noch getoppt wird das von der Studie „NGT Taxi“ des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), die ebenfalls auf der InnoTrans gezeigt wurde. Dieses Konzept schlägt eine flexible und modulare Komposition der autonomen Fahrzeuge vor. Das Modulsystem soll nicht nur die Stückzahlen erhöhen und die Fertigungskosten senken. Das Ziel ist auch betriebliche Variabilität: Längere Einheiten fahren nach Fahrplan, kürze Züge zu Schwachlastzeiten im On-Demand-Verkehr.
Ob Draisy, ARS oder NGT Taxi: An Ideen für innovative Leichttriebwagen mangelt es nicht. Ob und wo sie eine Chance haben, hängt allerdings von der Schieneninfrastruktur ab. Draisy soll vor allem zur Sicherung des Nebenstreckennetzes in Frankreich beitragen. Es umfasst rund 9.000 Kilometer. In Deutschland liegt der Fokus eher auf der Reaktivierung stillgelegter Strecken. Die Liste der Aspiranten dafür ist lang: Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen und die Allianz pro Schiene haben 325 mögliche Strecken zusammengetragen. Ihre Länge addiert sich auf rund 5.400 Kilometer. Für 200 Strecken liegen Machbarkeitsstudien vor, die überwiegend positiv ausfielen. Doch die Umsetzung von Reaktivierungen gestaltet sich zäh. Die Allianz pro Schiene rechnet für 2024 mit nur 30 Streckenkilometern. Die Kosten für die betriebsbereite Instandsetzung der Gleise sind dafür nur eine Erklärung. Als größtes Hemmnis sieht der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen die Sorge, dass die Mittel für die Finanzierung des Verkehrsangebots nicht reichen. Ein Problem, das über das Reaktivierungsthema hinausreiche „und in den nächsten Jahren unbedingt gelöst werden muss.“