Tempo 20 - Leere Geste oder mehr Gestaltungsraum?

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27. Dezember 2023, 09:30 Uhr

Artikel: Tempo 20 - Leere Geste oder mehr Gestaltungsraum?

Machen Tempo-20-Zonen Deutschlands Innenstädte attraktiver? Die öffentliche Meinung ist geteilt, die der Redaktion auch. Zeit für ein Pro & Contra.

Eigentlich ist die Tempo-20-Zone ein alter Hut: Verkehrsberuhigte Geschäftsbereiche mit einer Höchstgeschwindigkeit von weniger als 30 km/h kennt die StVO bereits seit 1990.

Neu ist hingegen, dass die Rathäuser sie aktuell deutlich öfter als bisher aus dem Hut zaubern, um die Aufenthaltsqualität in den Innenstädten zu verbessern. Naturgemäß stößt das auf ein geteiltes Echo – also haben wir in der Redaktion gelost, wer sich beim Pro & Contra-Battle welchen Hut aufsetzen darf.  

Pro: Mehr Boulevard, weniger Verkehr – Wo Städte dem Auto Schranken setzen, wird der Untergang des Abendlandes ausgerufen. Das war schon in den 1950er-Jahren so, als die ersten Fußgängerzonen entstanden. Und das wird bei Tempo 20-Zonen oft nicht anders sein. Dabei sind sie keine Revolution. Schließlich wird das Auto nicht ausgesperrt. Die Autofahrer müssen sich nur damit arrangieren, dass sie keine Priorität mehr haben, dass sie den Verkehrsraum mit Fußgängern und Radfahrern teilen müssen.  

Gut so! Denn wo in Innenstadtbezirken der Autoverkehr dominiert, sind sie unwirtlich und werden es bleiben. Für den Einzelhandel stellen sie zumeist Randlagen dar. Der Gastronomie fehlt es an Entfaltungsmöglichkeiten. Und die Wohnbevölkerung leidet unter Lärm und zugeparkten Straßen. Als Tempo 20-Zonen können aus solchen Quartieren Lebens- und Gestaltungsräume werden: mehr Boulevard, weniger Verkehr. Kann schon sein, dass sich Autofahrer dadurch eingeschränkt fühlen. Aber der Pkw ist auch mit Tempo 30 oder 50 die schlechtmöglichste Mobilitätsalternative in der Stadt. Und dass Autofahrer angehalten werden, Parkhäuser und Großparkplätze zu nutzen, muss nicht einmal ein Nachteil sein. Schließlich macht der Parkplatzsuchverkehr weder ihnen noch den Anwohnern Spaß.  

Tempo 20-Zonen zwingen niemanden, vom Auto zu lassen. Sie verändern aber die Bedingungen. Kritik daran sollte Städtväter und -mütter nicht hindern. Unsere Fußgängerzonen stammen aus einer Zeit, als die autogerechte Stadt das Maß aller Dinge war. Sie haben sich trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb durchgesetzt. Wenn Tempo 20-Zonen erst einmal eingerichtet sind, wird sie auch niemand mehr hergeben wollen. 

Contra: Leere Gesten, die keiner braucht – Na, trauen Sie sich als Fußgänger auch nicht mehr zum Shoppen in die Stadt, weil da ständig Autos mit 30 Sachen an Ihnen vorbeischießen? Dann herzlich willkommen in der neuen Tempo-20-Zone der Frankfurter Innenstadt: Zumindest rund um die Börse, wo bereits die ersten Nebenstraßen zu „verkehrsberuhigten Geschäftsbereichen“ deklariert wurden, sind Sie Ihres Lebens nun wieder sicher. Viele weitere werden folgen. 

Frankfurts Magistrat verspricht mehr Aufenthaltsqualität, ein fahrradfreundliches Miteinander und weniger Poser. Klar: Durchgeknallte Jungmänner, die gerne mal mit qualmenden Hinterrädern ums Eck driften, werden jetzt artig vom Gas gehen. Autofahrer überholen keine Radler mehr, weil sich das bei Tempo 20 eh nicht mehr lohnt. Und die Petrol Heads, die seit Jahr und Tag ungerührt mit durchschnittlich 17 km/h durch die Innenstadt kriechen, werden bei Tempo 20 sicher entnervt das Handtuch werfen und in den ÖPNV umsteigen. 

Es ist traurig, aber leider wahr. Frankfurt ist aktuell die prominenteste, aber sicher nicht die letzte Stadt, die kluge Rezepte für die so wichtige Neuerfindung der kriselnden Innenstädte mit leeren Gesten garniert, die keiner braucht. Dabei hätte dem Magistrat ein Blick vor die Haustüre reichen können, um das zu erkennen: Auf der Zeil, immerhin eine der ältesten und umsatzstärksten Fußgängerzonen Deutschlands, macht gerade ein Laden nach dem anderen das Licht aus. Am Autoverkehr liegt es nicht. Der ist, wie in Fußgängerzonen üblich, verboten.