Ziemlich beste Freunde

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04. Dezember 2023, 08:34 Uhr

Artikel: Ziemlich beste Freunde

Private PKW und ÖPNV waren lange getrennt unterwegs. Jetzt bringen Digitalisierung und Ridesharing beide Welten zusammen und die Verkehrswende ein Stück weiter voran.

Schon mal von Witzenhausen, Großalmerode oder Nentershausen gehört? Nicht? Dann wird’s aber Zeit. Schließlich haben die Gemeinden zusammen mit dem Werra-Meißner-Kreis und dem Nordhessischen Verkehrsverbund NVV bereits 2013 private Mitfahrgelegenheiten in den ÖPNV integriert und unter dem Label „Mobilfalt“ auf die Straße gebracht – Mobilitätsgarantie inklusive. „Mit dem Mobilfalt-Projekt haben wir gemeinsam echte Pionierarbeit im Bereich innovativer Mobilitätsangebote geleistet“, bilanziert NVV-Geschäftsführer Wolfgang Rausch zehn Jahre später.  

Tatsächlich verschwimmen die Grenzen zwischen motorisiertem Individualverkehr (MIV) und ÖPNV zunehmend. In Bonn genügt schon jetzt ein Deutschlandticket, um einen freien Sitzplatz in einer Fahrgemeinschaften zu buchen. In München arbeiten der Verkehrs- und Tarifverbund MVV, TU München, goFLUX und ride2Go an einer standardisierten Schnittstelle für die Integration von Mitfahrangeboten in das Routing. Im schwäbischen Herrenberg ist mit der MaaS-Lösung Stadtnavi eine Open-Source-Anwendung mit integrierten Mitfahrgelegenheiten am Start, die bundesweit schon einige Nachahmer gefunden hat. 

„Bisher wurden ÖVNP und private Autofahrten häufig als konkurrierende Verkehrslösungen angesehen, aber dieses Bild wandelt sich gerade, weil intermodale Mobilität vermeintliche Gegensätze in ein gelungenes Miteinander verwandeln kann“, sagt Martin Hovekamp, Vorstandsmitglied im gemeinnützigen Verein Mitfahrverband e.V. Spätestens seit der Vergabe des deutschen Mobilitätspreises 2023 ist klar, dass er mit dieser Ansicht nicht allein da steht: Mit Verbandsmitglied uRyde hat erstmals eine Mitfahr-Lösung das Rennen gemacht, die arbeitgeberübergreifendes Ridesharing und ÖPNV zusammen mit Werks- und Shuttlebussen sowie weiteren Mobilitätsdienstleistungen auf einer Plattform vereint. Für Hovekamp definitiv der „krönende Abschluss dieses Jahres“. 

ÖPNV und MIV wachsen aber auch deshalb enger zusammen, weil der Automobilkultur langsam, aber sicher das individuelle Freiheitsversprechen abhanden kommt: Jack Karouac ist out, Always-on in, nutzen wichtiger als besitzen und Ridesharing schon jetzt für zahlreiche Berufspendler eine gern genommene Alternative. Ähnlich sieht es der Verkehrsclub Deutschland (VCD). „On-Demand-Ridesharing kann einen wesentlichen Beitrag für die Verkehrswende leisten“, heißt es dort. „Allerdings müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen entsprechend gesetzt, sämtliche Fahrten öffentlich angeboten und ein integriertes Angebot mit dem bestehenden Nahverkehr geschaffen werden.“ 

Im Werra-Meissner-Kreis hat man genau das getan, musste Mitfahrgelegenheiten nun aber mangels Masse aus dem Mobilfalt-Angebot streichen: Gerade mal 2,5 Prozent aller Fahrten gingen auf das Konto privater Mitfahrgelegenheiten, die seit dem jüngsten Fahrplanwechsel mit Anruf-Sammel-Taxen (AST) erbracht werden. Umgewöhnen müssen sich die rund 5.000 registrierten Mitfahrer:innen nicht: Wenn Mitfahrgelegenheiten nicht zustande kamen, sind die AST im Rahmen der Mobilitätsgarantie schon bisher eingesprungen. 

Für Deutschlands Pendlerhauptstadt München ist die Vernetzung von Mitfahrangeboten und ÖPNV hingegen von „größter Relevanz“. Miteinand, so der Name des Gemeinschaftsprojekts von MVV, TUM, goFLUX und ride2Go, soll Mitfahrgelegenheiten in das intermodale Routing des MVV einbinden und so Mobilitätslösungen ermöglichen, die nicht nur effizienter, sondern auch nachhaltiger sind. Dass die Mitfahrbranche gerne mit dabei ist, versteht sich von selbst. Schließlich bedeuten mehr Fahrgemeinschaften weniger Autos auf der Straße und weniger Abgase in der Luft. Vor allem im Berufsverkehr ist viel zu holen: Hovekamp zufolge sitzen dort durchschnittlich gerade mal knapp 1,1 Personen im PKW. Wären es 1,3 Personen, entspräche das laut Umweltbundesamt einem Rückgang der Verkehrsleistung um elf Prozent.